Fotos: Selina Schrader Aufmacher Cell
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Feinster Fortschritt

Nicht jeder hat eine zweite Chance verdient. Doch Küchenchef Liam Valentine Faggotter unbedingt. Er überzeugt nach anfänglichen Startschwierigkeiten mit seinem Können und großer Raffinesse im Restaurant Cell

Der erste Besuch machte ratlos. Vor rund fünf Monaten waren die Gerichte okay, aber ohne wesentliche Geschmackserkenntnis. Der Lichtblick war schon damals und ist es immer noch Pascal Kunert. Sein untrügliches Gespür für Wein ist legendär. Er weiß was gute Naturweine sind, er findet Raritäten und außergewöhnliche Winzer und arrangiert seltene Tropfen harmonisch als Weinbegleitung zu den Speisen.

Aber es geht ums Essen. Nachdem das Gerücht sich beharrlich hielt, dass Faggotter ganz großartig kochen würde, stand also ein zweiter Besuch an. Mit durchaus gemischten Gefühlen. Um es gleich vorweg zu nehmen: Faggotter kann es wirklich. Vielleicht musste er sich freischaufeln von den Ideen des Evgeny Vikentiev, der das Restaurant Cell vor geraumer Zeit eröffnete. Vielleicht auch Abstand gewinnen von seiner Zeit an der Seite von Sternekoch Max Strohe. Jetzt hat der gebürtige Australier seinen Stil gefunden, und der ist vom Feinsten.

Wie jeder Spitzenkoch beherrscht er das Handwerk und den Duktus der französischen Küche, spürt jedoch ausdauernd bei allen Gerichten noch einmal genau nach, was an geschmacklichem Abenteuer passieren kann und kreiert so einmalige Eindrücke. Sowohl die Gerichte à la carte, als auch das Menü „Carte Blanche“ sind dramaturgisch ausgeklügelt. Der Gast wird dezent eingeführt und erfährt mehr und mehr von Faggotters Geschmackswelt. Die Vorspeisen wie Foie Gras mit Hokkaido, Sanddorn und Koriandersaat sowie der Seeteufel mit Kaviar, einer Beurre blanc und Jerky verraten bereits das präzise Spiel mit Aromen und Texturen. Wie zufällig entdeckt der Gast die Raffinesse in jedem Detail.

Gerade hat Faggotter neue Hauptspeisen auf die Karte gesetzt. Stammgäste vermissen eventuell die Taube, die eine spezielle Reifung erfährt, bei der Heu eine Rolle spielt. Diese seien aber vertröstet, die kommt bestimmt wieder, wie uns der Restaurant-Manager Peter Izarik erzählt. Die aktuellen Gänge lassen keine Gedanken mehr daran verschwenden.

Die Süßkartoffel spielt die Hauptrolle im vegetarischen Hauptgang. Klingt profan? Ist es selbstverständlich nicht. Der Cracker mit einem Tupfer schwarzer Knoblauchpaste ist ein leichter Anfang, man möchte eigentlich eine ganze Schale davon, aber die Süßkartoffel präsentiert sich als Gericht in bester und auch unterschiedlichster Form. Roh als eine Art Tagliatelle schwingt sie sich auf der gegarten, danach gerösteten Kartoffelscheibe. Ein geräuchertes Apfelmus untermalt die süßlichen Nuancen, genauso wie der schwarze Knoblauch.

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Der zweite Hauptgang, der Hummer, tut ganz klassisch, der Schwanz ist tadellos gegart, die Bisque genauso wie sie sein soll, die Cranberry-Marmelade schafft süß-säuerlichen Ausgleich und der Shiitake-Pilz mit einem Krönchen aus Wasabiblüten ist leicht herbe Konnotation. Zusätzlich kommt ein Schälchen mit der Essenz aus den Scheren und den sonst eher verpönten Innereien. Faggotters Mut zeigt sich dabei, ein derart stark aromatisches Beiwerk zu offerieren. Letztendlich ist das Lammgericht, Filet und Nacken, eine Reminiszenz an eher klassische Vorlieben der Gourmetfraktion, ohne gefällig zu werden. Gebratenes und Gesottenes mit leichten Röstaromen, dazu Aromen von Blumenkohl und ganz dezent von Maitake, vom Aussehen her ähnlich einem Austernpilz.

Die Desserts sind ähnlich in der Stilistik, vielleicht etwas weniger mutig in der Komposition, aber das Gericht unter dem Motto „Tonka“ – eine fruchtige Komposition mit Brombeere und Passionsfrucht, dabei ein Hauch Lakritze und Schokolade – ist wieder ein Traum. (emh)

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Uhlandstraße 172, Charlottenburg, Tel. 030 86 33 24 66, www.cell.restaurant, Di-Sa ab 18.30 Uhr, Menü „Carte Blanche“: Fünf Gänge 85 €, Sieben Gänge 110 €, Neun Gänge 130 €, inklusive Wasser und Brot, Wein-Pairing ab 65 €, Fl. Wein ab 25 €, die Weinkarte umfasst über 400 Weine