Fotos: Florian Bolk Aufmacher Protzen & Tochter
Protzen & Tochter

Verwunschen zeitgemäß

Ein eigentlicher Veranstaltungsort öffnet sich für hungrige Gäste. Das Protzen & Tochter im Von Greifswald lädt zu wechselnden Menüs

Das Von Greifswald ist ein unentdeckter Ort, nur eine „Quidditch Snatch“-Wurfweite (Erfundenes Wurfspiel der Harry-Potter-Romane) entfernt zwischen der Schwimmhalle Ernst-Thälmann-Park und dem S-Bahnhof Greifswalder Straße gelegen. Auch hier rattern die Züge vorbei wie in Kings Cross, der S-Bahn-Ring liefert den Soundtrack für die ehemalige Bahnhofshalle.

Früher kamen die Waren aus dem Umland hier an, dann wurde es ein Teppichmarkt, seit einigen Jahren finden hier unter dem Namen „Von Greifswald“ Veranstaltungen statt. Konzerne laden zum Dinner, Hochzeiten werden gefeiert, die Organisatoren der Berlin Food Week luden zur Foodnight ein. Das riesige Gelände ist eingezäunt und mit Pflanzen eingewuchert. Die alte Funktion ist noch überall erkennbar, alte Laderampen wurden zu Eingangstreppen umgebaut, der getünchte Backstein, das Fachwerk, die Schiebetüren, man schaut in Berliner Geschichte hinein.

Wer hierher kommt, hält eine Einladungskarte in der Hand. Das ändert sich nun. Im Westflügel hat jetzt das Protzen & Tochter als Restaurant eröffnet, der Name wurde von den Betreibern vom einstigen Sitz auf der Halbinsel Stralau mitgenommen. Während Küchenchef Jörg Eichhofer im Von Greifswald am Wochenende für Hunderte von Gästen das Essen aus der Küche punktgenau schickt, hält das P&T seine Tore für gerade mal 30 bis 40 Gäste offen. Wie nebenan ist der Raum von Backstein und Holzbalken bestimmt. Hohe Fenster geben Blick auf die benachbarte Gleise, im Fünf-Minuten-Takt sieht man, kaum hörbar, die S 41 vorbeiziehen. Acht Holztische im großen Raum geben weit mehr als die benötigten 1,5 Meter Platz, am Rand des Raumes liegt mit großem Pass und Durchreiche die Küche. Der Raum wird erleuchtet durch Kronleuchter, wie einige andere Möbelstücke importiert aus Florenz.

Protzen & Tochter

Jörg Eichhofer hat im Borchardt gelernt, war im VAU, hat im Jolesch gearbeitet. Seine Prägung war bei Alexander Dressel, und bei Wolfgang Müller im Horvath. Ende der Nuller Jahre folgte er Hendrik Canis in die Spindel an den Müggelsee. Hier kam er zur Ruhe, genoß das Stadtrandleben, aber fürs Ländliche waren sie mit ihrem Fine-Dining-Konzept ihrer Zeit zu weit voraus. Während Canis im wiedereröffneten Rutz-Zollhaus arbeitet, wacht Jörg Eichhofer über einen alten Bahnhof.

Die Untätigkeit des Lockdown brachte Eichhofer dazu, sich das P&T als Spielwiese aufzubauen. Neben der Herausforderung der großen Bahnhofsbühne, nun eine Nebenstrecke, beschaulicher, unabhängiger. Mit kleinem Team lädt Eichhofer hier zum wechselnden Menü. Zur Eröffnung ging es um Bakterien und Pilze. Es wurde fermentiert, mit Kefir-Kulturen und Sauerkraut. Frankreich war im Juli das Thema: Bouillabaisse, sämige Sauce, dreierlei Fisch, sehr klassisch, gediegen. Mit dem Muschelgang lockt ebenso die Brandung, Tortellini gefüllt mit Artischockenpüree werden von einem Muschelsud umspült. Dazu gibt es marinierten Fenchel. Das Entrecôte vom Weiderind hätte an diesem Tag noch etwas mehr Garzeit verdient, ist aber von hoher Produktqualität. Im Nachgang wurde die Crème brûlée jüngst ersetzt durch Aprikose, in Robinie eingelegt, mit einem Mix aus Koriander-Öl, -Saat und -Kresse. Dazu wird ein Sonnenblumen-Tahini geträufelt. Ganz sanft setzt Eichhofer dieses Koriander-Dreiererlei ein.

Die Weinkarte vom Weinladen Schmidt bleibt erst einmal auf drei Weine beschränkt, der Blanc de Noir Zweigelt von Dürnberg passt aber treffsicher zu Konzept und Kulisse. Sollten wir an einer zweiten Welle vorbei segeln und stattdessen die Gastronomie weiter Fahrt aufnehmen, dann will Eichhofer diesen Versuchsballon mindestens bis Jahresende steigen lassen. Ort, Kochkunst und Ambiente seien ein längeres Gastro-Leben gewünscht. Und wer weiß, wer hier den Abend im P&T genießt, plant hier schon mal die Jubiläumsfeier oder Hochzeit fürs nächste Corona-freie Jahr. (Johannes Paetzold)

Protzen & Tochter
im Von Greifswald, Lilli-Henoch-Straße 10, Prenzlauer Berg, www.von-greifswald.de,
immer Donnerstag und Freitag, 3 Gänge 45 €, 5 Gänge 75 €