Patricia Krawehl vakuumiert die Tortilla-Stapel und beklebt sie mit dem Cintli-Sticker Aufmacher Cintli
Vor Ort: Cintli

Tägliches Brot

In der Manufaktur Cintli in Oberschöneweide produzieren Franziska von Dippel und Jesus Garcia Hernandez mit ihrem Team weiße, blaue und rote Tortillas

Text: Sophia Bauer • Fotos: Michael Hughes

Die Definition von Sehnsucht ist laut Duden ein „inniges, schmerzliches Verlangen nach jemandem, etwas Entbehrtem, Fernem“. Das kann das Sehnen nach einem Land sein, dem Leben dort und dem Gefühl, das man dort hatte. Ist das nicht mehr im Alltag, so scheint es, als würde etwas Wichtiges zum eigenen Glück fehlen. Für die einen mag es womöglich Australien, Neuseeland oder Kanada sein, für Franziska von Dippel und Jesus Garcia Hernandez ist es Mexiko.

Jesus ist gebürtiger Mexikaner und Franziska hat einige Jahre in dem mittelamerikanischen Land verbracht. Das Paar hat zusammen in einem kleinen Fischerort zwischen Cancún und Playa del Carmen gelebt und dort eine sehr glückliche Zeit verbracht. Wegen Franziskas Schwangerschaft haben sie sich dazu entschieden, nach Deutschland zu gehen, um dem Kind auch die deutsche Kultur näherzubringen.

Jesus Garcia Hernandez, Franziska von Dippel Jesus und Franziska

„Als wir nach Deutschland gekommen sind, haben wir sehr schnell gemerkt, dass wir essenstechnisch das Mexikanische vermissen und haben überlegt eine Tortillerìa aufzumachen“, erzählt sie. Wie der Zufall es wollte sind sie auf die Cintli Tortillerìa gestoßen, die damals noch von einem anderen Deutsch-Mexikanischen Paar geleitet wurde. Diese haben sie vor vier Monaten übernommen sowie die Maschinen und Mitarbeiter – alles Mexikaner.

Nur das Logo haben sie etwas geändert und einige Ladenregale in den Vorderraum der Manufaktur gestellt. „So können unsere Kunden bei uns neben den Tortillas auch Saucen kaufen und müssen nicht durch die ganze Stadt dafür fahren“, erklärt Franziska. Sie ist für den Verkauf und die Buchhaltung zuständig und ihr Partner Jesus kümmert sich um den gesamten Herstellungsprozess der Tortillas.

Doch warum haben sie sich für Tortillas entschieden? Um sich ein Stückchen Mexiko wieder in den Alltag zu bringen? Die Deutsche Franziska vergleicht die Fladen mit dem „täglichen Brot“, das es in ihrem Heimatland beim Bäcker gibt und eine Selbstverständlichkeit ist.

Jesus erklärt weiter: „Die Herstellung der Tortillas ist etwas, das die Mexikaner im Blut haben. Als Kind bin ich regelmäßig in die Tortillerìas gegangen und habe frische geholt. Dort konnte ich den ganzen Prozess beobachten, da alles in einem offenen, für jeden zugänglichen Raum stattgefunden hat.“

So war es für den gelernten Koch nicht schwer, selbst anzufangen die Klassiker in der Manufaktur herzustellen. Doch nicht traditionell auf einer großen runden Metallplatte, „comal“, wo die Tortilla-Bäcker die Teiglinge zuvor mit einem Händeklatschen flachdrücken und anschließend platzieren – wie früher in seiner Kindheit –, sondern mit der Hilfe einer Maschine. An dieser stehen zwei ihrer Mitarbeiter: Enrique Angeles und Bernardo Aldana.


Bilder von Tortilla-Produktion:
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Von Enrique hängt der ganze Prozess ab, denn er ist der „alimentador, also Nahrungsgeber“, laut Franziska. Er drückt die Teigmasse aus Maismehl, Wasser und Salz in die Maschine und füllt regelmäßig Teig nach. Dieser kommt dann sofort in die Tortilla-Presse und wird dort flach gedrückt und in gleich große, runde Formen geschnitten. Enrique passt auch auf, dass diese keine Löcher haben und wenn doch, legt er den Teig wieder oben in die Maschine. Die Fladen wandern auf den Fließbändern über mehrere Etagen immer wieder durch den Gasofen. Mit verschiedenen Hebeln kann Enrique die Temperatur steuern. Zuerst werden die Außenseiten, danach werden die Tortillas komplett durchgebacken. „Wenn sie wie Luftballons aufgehen, das ist das Zeichen, dass sie fertig sind“, erklärt Jesus.

Dieser Vorgang erfordert eine hohe Konzentration und ein Gefühl für die Maschine und vor allem die Temperaturen. Wenn die Tortillas anfangen, schwarze Flecken zu bekommen, muss Enrique die Hitze verringern oder das Band schneller laufen lassen. „Es ist wie ein Tanz. Enrique tanzt den ganzen Tag. Er kontrolliert den ganzen Prozess“, meint Jesus. Der Produktionsraum ist erfüllt von karibischer Hitze und lauter mexikanischer Musik. Ein Besucher kann spüren, dass hier eine Melodie in der Luft liegt, die dafür sorgt, dass die Mitarbeiter gut gelaunt und getaktet ihrer Arbeit nachgehen.

Bernardo steht am Ende des Fließbandes, nimmt die Tortillas herunter und wiegt sie genau ab. Wenn er einige Stapel hat, kommen diese für zwanzig Minuten in die Kühlung, so ist es für Patricia Krawehl leichter, die erkalteten Tortilla-Stapel zu vakuumieren und mit dem Cintli-Sticker zu bekleben.

Das Cintli-Team (v.l.n.r.): Bernardo Aldana, Franziska von Dippel, Jesus Garcia Hernandez, Enrique Angeles und Patricia Krawehl Team

Vier Tage die Woche steht das Team in der Manufaktur. Sie produzieren zwischen sechs bis acht Stunden pro Arbeitstag, ganz nach der Bestellmenge. Ihre Hauptkunden sind Restaurants und der Einzelhandel, wie zum Beispiel der Mexiko-Laden Chili & Paprika. Am Donnerstag, von zwölf bis vierzehn Uhr, machen sie ihre Türen für Besucher auf. „Das kommt gut bei den Leuten an, dass sie die frisch aus dem Ofen kommenden Tortillas bei uns holen können“, freut sich Franziska.

In Zukunft planen die Unternehmer, nicht nur das fertige Maismehl aus Mexiko für die Herstellung zu verwenden, sondern auch die Nixtamalisation selbst durchzuführen. Das ist ein Vorgang, bei dem der Mais einige Stunden mit alkalischen Stoffen wie Kalk, oder früher bei den Mayas Holzasche, gekocht wird, um so die Maiskörner bekömmlich zu machen. Danach können sie diese zu Maismehl weiterverarbeiten. Jesus hat dann einen viel größeren kreativen Spielraum und kann neben dem authentischen Produkt noch weitere eigene Kreationen entwickeln. Aus Mexiko ist schon eine Lieferung von weißem, rotem und blauem Mais unterwegs. Diesen beziehen sie von kleinen, lokalen Bauern, die den Mais eigentlich für den eigenen Konsum anbauen und nur die Reste weiterverkaufen. Franziska erzählt, „wir hatten eine so glückliche Zeit dort und damit wollen wir etwas zurückgeben“.

Cintli Tortillas Berlin
Tortillerìa, Siemensstraße 16, Oberschöneweide, Tel. 0176 34 65 53 49, www.cintli.de,
Fabrikverkauf am Donnerstag 12 bis 14 Uhr, Tortilla (weiß) 500 g ab 3,50 €, Tortilla (blau) 500 g ab 4,00 €,
Pick-up Shop: Bülowstraße 6, Schöneberg, Tel. 0160 85 09 115