Alfred Holighaus im Gespräch mit Eva-Maria Hilker, Fotos: Michael Hughes Aufmacher Alfred Holighaus
Alfred Holighaus

„Filme gucke ich im Kino!“

Seine Leidenschaft ist der deutsche Film. Alfred Holighaus zeichnet vor allen Dingen seine Offenheit und Neugier aus auf alles, was sich in bewegte Bilder umsetzen lässt und umgesetzt wurde. Sein Engagement gilt den Fernseh- oder Kinofilmen. Alfred Holighaus entwickelt nicht nur Drehbücher und sucht nach neuen Stoffen, er ist auch passionierter Koch

Interview: Eva-Maria Hilker • Fotos: Michael Hughes

Wie sieht dein Arbeitsalltag heute aus?
Alfred Holighaus: Viel lesen, viel darüber reden, Kontakte herstellen mit Autoren. Ideen besprechen. Ich habe Projekte, die ich anleiere und begleite. Gerade stecke ich wieder ganz konkret in der Entwicklung der Bücher der Borowski-Tatorte, arbeite an einer Mini-Serie und einem Kinofilm.

Wir sitzen im Restaurant am Steinplatz und genießen den Business-Lunch. Was wird am Set eigentlich gegessen?
Bei meinem letzten Besuch gab es Kinderessen: Nudeln mit Tomatensauce. (lacht)
Es kann auch Bolognese gewesen sein.

Im Tatort wird generell nur nebenbei gegessen, wenn überhaupt.
Außer bei dem Vorletzten, den wir gedreht haben. Da gibt es einen Abend, wo Borowski für seinen Freund und Vorgesetzten Schladitz kocht, ein Bœuf bourguignon. Und das essen sie so, wie es gerne gegessen wird, aus einem großen Topf mit Baguette. Das ist eine längere Szene, und sie unterhalten sich über Leben und Tod.

Das Essen fungiert also als Lockerung für ernste Gesprächsthemen.
Stimmt. Es wird auch noch mehr gegessen, die Hauptverdächtige verkauft nämlich Fischbrötchen in Kiel.

Alfred Holighaus 1

Fischbrötchen in Kiel dürfen natürlich nicht fehlen, genau wie Currywurst in anderen Städten.
Ja, die Currywurst gibt es oft. Da fällt mir diese ganz schräge Figur in einer altmodischen Serie ein, nämlich „Der Staatsanwalt“ mit Rainer Hunold. Der hat einen Vertrauten, den Schiller, den spielt Heinrich Schafmeister, der hat einen Catering-Wagen irgendwo im Industriegebiet und macht echte Alternativen zur klassischen Kripo-Currywurst.

Ein befreundetes Catering-Unternehmen sorgt für Gerichte, die im Film zu sehen sind. Das stellt sie vor besondere Herausforderungen: immer wieder das gleiche Essen in verschiedenen Zuständen servieren.
Das nennt man „Continuity“, damit es keine sogenannten Anschlussfehler gibt. Damit der Teller, der vorher halb leer war, nicht plötzlich nach einer anderen Einstellung aus einer anderen Perspektive wieder voll ist. Das sind Fehler, die machen die Szenen unglaubwürdig und nerven das Publikum.

Ist dafür nicht die Regie-Assistenz zuständig?
Die Position der Continuity gibt es schon lange, die müssen genau das machen, alles dokumentieren: dass die Zigarette nicht weiter abgebrannt ist, dass das Glas nicht plötzlich leer oder voll ist, das Essen selbst spielt als Requisite nicht so eine große Rolle.

Die Produktion sei anstrengend, auch wegen der sich ständig ändernden Termine. Aber das ist wohl typisch beim Film.
Du musst dir vorstellen, du machst drei Monate vor Drehbeginn den ersten Drehplan. Du musst alles im Voraus planen und dann verschiebt sich ein Termin, weil eine Einstellung schief geht oder weil, was gerade ständig passiert, ein Schauspieler oder Mitarbeiter Corona hat. Also muss von einem Tag auf den anderen alles umgeworfen werden. Und darunter leiden natürlich Abteilungen wie Maske, Kostüm, Requisite und Catering. Aber diese Flexibilität müssen sie haben.

Essen bedeutet in deutschen Produktionen eher Nahrungsaufnahme.
Hauptsächlich im deutschen Fernsehen. Auch Kochen spielt im deutschen Kinofilm nicht so eine große Rolle. Da müsste ich erst noch mal in meinem Kopf wühlen, wo es mal eine Rolle in einer Szene gespielt hätte. Zwei Filme fallen mir aber doch ein: „Soul Kitchen“ von Fatih Akin, sozusagen eine Sozialkomödie mit Geschmack. Und natürlich „Bella Martha“ von Sandra Nettelbeck, wo zum Beispiel der Koch ein trauriges Mädchen mit gutem Essen fröhlich macht.


„Man muss schon eine Weile nachdenken, um das Essen im Film so zu erkennen, wie es im Leben eine Rolle spielt.“

In den 70er-Jahren gab es diese Filme, in denen wahnsinnig viel gegessen wurde.
Es gab die Mutter aller Fressfilme „Das große Fressen“. Das war natürlich Mitte der 70er-Jahre der Gipfel der Dekadenz und der Gipfel der Gesellschaftskritik. Wo die Protagonisten sich vorgenommen haben, sich zu Tode zu fressen und das auch noch erfolgreich. Ein irrer Film. Bei Fellini hat Essen auch immer eine Rolle gespielt.
Auf der anderen Seite gab es später die kulinarischen Filme wie „Babettes Fest“ und „Chocolat“ – den ich übrigens ins Kino gebracht habe – oder Weinfilme wie „Sideways“. Aber man muss schon eine Weile nachdenken, um das Essen im Film so zu erkennen, wie es im Leben eine Rolle spielt.

Was oft vorkommt in Filmen oder Serien sind vergebliche Essen.
Das ist ein ganz beliebtes, mittlerweile komplett abgenutztes und langweiliges Bild für im Stich gelassen werden. Man bemüht sich, deckt den Tisch und schmeißt das Essen dann wutentbrannt weg. Das gibt es sehr, sehr oft im Film. Ein Klischee und nicht besonders originell.

Du kochst auch selbst?
Fast jeden Tag. Es gibt wenig, was ich lieber mache.

Holt dich das runter vom Stresslevel des Berufs?
Total, aber es ist auch grenzwertig, weil es mich schon früh am Tag beschäftigt: Was kann ich heute kochen? (lacht) Meistens habe ich ein konkretes Bedürfnis nach etwas, das ist aber ganz gefährlich, weil es natürlich nur mein Bedürfnis ist, und das ist nicht immer kongruent mit dem Rest der Familie.

Spielt veganes Essen bei euch eine Rolle?
Vegan spielt keine Rolle, vegetarisch ja. Wir sind dabei eine Mischung hinzukriegen. Wobei wir auch riesige Fisch- und Sushifans sind.

Wo kriegt ihr den Fisch her?
Aus dem Fischparadies in der Hauptstraße.

Das türkische Geschäft nahe Richard-von-Weizsäcker-Platz?
Ja, ich finde das da super. Es gibt Leute, die sagen, sie haben schlechte Erfahrungen gemacht. Wir kaufen dort, seit der Laden aufgemacht hat, unseren Fisch und sind noch nie enttäuscht worden.

Gehst du an bestimmten Tagen dort einkaufen?
Natürlich mehr am Wochenende, aber es ist nicht mehr so wie früher, dass man am Montag keinen Fisch mehr kaufen kann oder sollte.


„Im Fischparadies in Schöneberg gibt es immer Fisch. Und da gibt es auch nichts, was es nicht gibt.“

Montags nie Fisch – diese Regel hält sich bis heute.
Ja, ich weiß, manche schwören drauf. Das ist scheinbar auch international so. Ich werde es nie vergessen: Thema Muscheln und Film. Als Joseph Vilsmaier, Gott hab ihn selig, seine Verfilmung vom Brandner Kaspar mit Bully Herbig gemacht hat, das ist ca. 15 Jahre her, hat er mich angerufen und gefragt, wie würdest du denn im Film den Himmel darstellen? Ich hab keine Sekunde gezögert und gesagt: Wie die Muschelstände in der Markthalle von Barcelona. Da hab ich das erste Mal gedacht, ich bin im Paradies und so stelle ich mir das Paradies weiterhin vor. (lacht)
Und dann war ich mit meinen Kindern über ein verlängertes Wochenende in Barcelona, und als wir montags in die Markthalle kamen waren die Muschelstände noch leer, weil es eben Anfang der Woche war. Daher habe ich das vermeintliche Paradies meinen Kindern leider nie zeigen können. (lacht)
Aber im Fischparadies in Schöneberg gibt es immer Fisch. Und da gibt es auch nichts, was es nicht gibt. Montag Abend habe ich wieder Lachs gekocht, den ich von da geholt hab. Er war herrlich. Aber mein Liebling ist der Wolfsbarsch.

In welchem Projekt steckst du jetzt gerade?
In mehr als einem. Aber in verschiedenen Stadien. Ganz aktuell werden wir im Sommer wieder einen Kieler Tatort drehen. Den haben wir schon gut vorbereitet und gerade die neue Drehbuchfassung besprochen.

Die wievielte Fassung war das?
Das war jetzt die Viereinhalbte.

Ist das die Regel?
Nein, es sind manchmal mehr. Es ist ein Prozess. Du hast eine Idee, aus der wird ein Exposé. Da hat jeder Autor eine unterschiedliche Schlagzahl, manche machen das auf drei Seiten, manche auf neun Seiten.
Die nächste Stufe ist ein Treatment, das mögen nicht so viele Autoren schreiben, weil das so eine Zwitterform ist, bei der man sich nie wohl fühlt und immer begrenzt ist, das kann ich gut verstehen. Es ist weiter als ein Exposé aber noch kein Drehbuch. Die meisten wollen nach dem Exposé gleich in die Szenen gehen. Und beim Treatment musst du den Handlungsablauf erst etwas länger ausschreiben.
Und dann gibt es noch eine Stufe, das ist das Bilder-Treatment. Das ist das meistgehasste bei den Autoren. Denn da musst du jede Szene des Films schon beschreiben, ohne die Dialoge zu haben. In der Szene wird sich das abspielen, in der nächsten Szene das und in der übernächsten das. Das ist ein dauernder Interruptus, das ist total unbefriedigend. Das mag kein Autor.
Es gibt aber z.B. Redaktionen, die das verlangen und dann musst du das liefern. Wenn sie das zahlen, wenn sie nicht zahlen, dann natürlich nicht. Für Auftragsproduktionen müssen sie ja zahlen – immer zu wenig. (lacht)

Werden die Produktionskosten im Vorfeld schon klar definiert?
Mit einem Etat für den Film musst du ja zurechtkommen als Produktion. Davon musst du z.B. den Autor, die Schauspieler gut bezahlen, du musst die gesamten Produktionskosten bezahlen – und die laufenden Kosten der Firma. Und das ist meistens zu gering.

Wir reden von den Öffentlich-Rechlichen?
Wir reden von den Öffentlich-Rechtlichen und von Auftragsproduktionen allgemein. Und wir müssten darüber reden, wie das Engagement der Sender beim Kinofilm aussehen sollte. Immerhin haben sie sich jetzt wieder verpflichtet, in die Filmförderung der FFA (Filmförderungsanstalt) einzuzahlen.

Aber dann verpflichtet es sie ja auch, die Filme auszustrahlen.
Die FFA-Abgabe selbst verpflichtet sie nicht. Aber die Sender sind darüber hinaus bei einigen Filmen auch als Ko-Produzenten dabei.

Holighaus Vita
Alfred Holighaus

und Eva-Maria Hilker kennen sich aus Tip-Zeiten. Deshalb auch das Du.
Als leitender Redakteur war Holighaus als Kenner und Kämpfer für den deutschen Film international bekannt. Bevor er 2001 zur Berlinale ging – dort etablierte er die neue Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ – war er ab 1995 Produzent und Verleiher bei Senator Film.
2010 übernahm er fünf Jahre die Geschäftsführung der Filmakademie, für die er seit ihrer Gründung im Jahr 2003 immer wieder Projekte entwickelt und verwirklicht hatte.
Ab 2015 amtierte er vier Jahre lang als Präsident der SPIO, der Spitzen­organisation der Film­wirtschaft. Danach hatte er das „große zweifelhafte Vergnügen, mit Ehrenämtern überhäuft zu werden“.
2020 hat er angefangen, mit Michael Lehmann, dem Chef der Studio Hamburg Production Group und Henning Kamm, dem Geschäftsführer der Real Film Berlin, zusammen­zuarbeiten.
„Jetzt mache ich wieder das, was ich früher bei Senator gemacht habe. Ich bin wieder auf der Suche nach Stoffen, ich entwickle Drehbücher und produziere auch.“

Also, sie geben einen Obolus dazu, bei dem, was sie für wichtig halten ...
Genau. Und mit diesem Ko-Produktions-Anteil erwerben sie die Rechte an der Ausstrahlung.

Aber sie strahlen die Filme oft spät aus. Was ich schon teilweise um Mitternacht für Perlen gefunden habe ...
Absolut. Aber sie kriegen natürlich mit, dass die Leute immer weniger werden, die Filme dann gucken, wenn sie ausgestrahlt werden. Die Sendezeit wird irgendwann keine große Rolle mehr spielen. Außer bei den paar Sachen wie der Tagesschau, wo selbst die Jungen jetzt mitmachen, wenn es um die Pandemie oder den Krieg geht. Dass also das Publikum der 14- bis 49-Jährigen plötzlich wieder verstärkt die klassischen Nachrichtenformate wahrnimmt, zur klassischen Nachrichtenzeit. Dann hast du noch den einen Lagerfeuerabend, den Tatort, aber alles andere ...

Thema Streaming-Dienste und Mediatheken – dort gibt es keine Sehgewohnheiten. Zeitlich und thematisch geht fast alles und immer.
Genau, so mache ich das auch. Und nebenbei habe ich noch das Glück, einen 17-jährigen Sohn zu haben, der darauf besteht, dass ich einmal in der Woche mit ihm ins Kino gehe. Gestern waren wir z.B. wieder zusammen im Zoo-Palast bei einer Premiere. Da sind dann die anwesenden Schauspieler auch für die junge Altersgruppe interessant. Aber für die ist es genauso aufregend, wenn Youtuber oder Influencer im Publikum sitzen. Er geht also in die neuesten Blockbuster, aber parallel schaut er sich auf dem Handy ihre Clips an. Diese Generation kennt daher die ganzen Contentcreators, die nicht immer die spannendsten Informationen in großer Auflage verbreiten. (lacht)

Zurück zum deutschen Film. Wie sieht es aus mit dem Potenzial von Serien?
Wir arbeiten gerade an zwei Serien mit völlig unterschiedlichen inhaltlichen und zeitlichen Elementen. Die Bandbreite ist groß. Und was das Personal angeht, hast du im Moment im Bereich der Film-, Serien- und Fernsehproduktionen eine Überbeschäftigung.

Überbeschäftigung wie überall bedingt durch Fachkräftemangel?
Autoren haben überdurchschnittlich viel zu tun, die Handwerker haben überdurchschnittlich viel zu tun, wir suchen für eine Produktion noch händeringend einen Produktionsleiter, es gibt einfach keinen. Bei Autoren fragst du an, dann heißt es, jaja, komm nächstes Jahr noch mal wieder. Autoren, die vor fünf Jahren noch einen Job suchten, sind heute ausgebucht.
Es gibt mittlerweile eine so große Angebotspalette von fiktionalem Stoff durch die verschiedenen Streaming-Dienste, da sind die Leute alle gut beschäftigt. Da so viel produziert wird, hat dieser Bereich in der Pandemie überhaupt nicht gelitten. Es konnten zum Teil keine Filme gedreht werden, weil die Bedingungen durch die Hygiene-Vorschriften nicht gut waren, aber das wurde alles nachgeholt.
Gelitten hat konkret der, der einen öffentlichen Ort hatte, um zu rezipieren. Das heißt Konzertsäle, Theater, Bühnen, die Kinos. Und natürlich die Gastronomie. Da, wo die Leute zu Hause bleiben konnten, um Serien zu gucken, war es ja kein Problem.

Du hast also deine Sehgewohnheit geändert.
Ja, von immer weniger fernsehen hin zu anders fernsehen. Ich hab früher, weil wir sonntags mit unserer kleinen Familie immer erst zwischen acht und neun Uhr gegessen haben, fast keinen Tatort mehr gesehen. Seit ich den in der Mediathek sehen kann, guck ich den halt um elf Uhr, aber dadurch guck ich ihn wieder. Und natürlich auch, weil ich beruflich ganz viel damit zu tun habe. Ich verpasse auch keinen der Tatorte der anderen Sender mehr.

Früher hieß es ja, Streaming-Dienste dürften keine Auszeichnungen erhalten.
Ich weiß was du meinst: Filmpreise. Tatsächlich sind es zwei verschiedene Dinge. Das Herzstück des Streaming-Angebotes sind Serien. Und die Streamer haben Serien, die es ja immer schon gab. Nur früher gab es die einmal in der Woche, jetzt ist es halt am Stück.

Kannst du mir das Phänomen erklären, dass Leute morgens mit grünen Augen zur Arbeit kommen, weil sie 20 Folgen hintereinander gesehen haben?
Das kann ich dir erklären: Ich mach das mit blauen Augen, aber auch. (lacht)


„Am nächsten Morgen verfluchst du den Abend. Aber nur wegen des mangelnden Schlafes, nicht wegen dem, was du gesehen hast.“

Ist dabei nicht die ganze Spannung weg?
Nein, wenn es gut ist, ist die Spannung so hoch, dass du einfach froh bist weitergucken zu können. Früher galt: Verdammt, Cliffhanger – jetzt musst du eine Woche warten. Jetzt kannst du direkt weitermachen. Und der Adrenalinausstoß wird immer größer. Deshalb bleibst du auch wach. Am nächsten Morgen verfluchst du den Abend. Aber nur wegen des mangelnden Schlafes, nicht wegen dem, was du gesehen hast.

Serien hat es immer gegeben, mit begrenztem Umfang, mit einer Staffel war immer etwas abgeschlossen.
Und mittlerweile ist die Mini-Serie die Königsdisziplin, mit sechs oder acht Folgen. Die Geschichte ist auserzählt, aber sie hat eine Horizontale, die einfach hervorragend funktioniert, die dich fesselt. Das ist das eine. Das andere sind die großen Kinofilme. Sie leben von der Exklusivität.

Das ist Voraussetzung, dass Kino überhaupt noch überlebt?
Das Kino braucht die Zeit, in der es etwas anbietet, was es nur dort gibt. Damit die Leute sich bewegen, den Hintern hochkriegen. Denn wenn du dich aufmachst, musst du ja mindestens Schuhe anziehen. (lacht)
Vermutlich musst du noch das Parkhaus bezahlen und willst vorher oder nachher noch etwas essen und trinken. Dabei hast du eine ganz andere Investition getätigt im Vergleich, als wenn du Zuhause bist und eine Flasche Bier gerade mal 89 Cent kostet.

Streaming schließt Exklusivität aus.
Wenn du einen Film, den ein Streamer produziert hat, ins Kino bringst und ihn gleichzeitig streamst, dann nimmt das die Exklusivität weg. Die Film-Festivals und die jeweiligen Preis-Institutionen, die die Preise vergeben, erklären, dass diese Filme nicht gezeigt werden, weil sie diese Regeln verletzen. Sie schützen die anderen Filme und die Kinos.
Es ist aber auch eine Glaubensfrage. Dazu gibt es auch Studien. Zum Beispiel zur Frage, wie lange muss die Exklusivität halten? Geht es um eine Exklusivität von einem Monat oder, wie es in Deutschland gesetzlich geregelt ist, von einem halben Jahr? Für die Fernsehausstrahlung gelten sogar 18 Monate. Du hast ja drei Auswertungsschlüssel. Nach einem halben Jahr konntest du früher den Film im Pay-TV ausstrahlen lassen, dann kam die DVD und dann das Fernsehen.

Alfred Holighaus 2

Spielen DVDs noch eine Rolle?
Naja, vor ein paar Jahren gab es in Deutschland noch einen Umsatz bei DVDs von einer Milliarde Euro. Jetzt sind wir, glaube ich, immer noch bei 250 Millionen.

Und die Streaming-Dienste?
Die Streaming-Dienste sind mittlerweile bei vier Milliarden Euro.

Damit also die Couch-Potatoes ins Kino gehen, ist man skeptisch gegenüber Produktionen der Streaming-Dienste und schließt sie aus?
Das ist die Frage, ob diese Rechnung aufgeht. Und darüber streitet man sich. Erstens gibt es Couch-Potatoes, die auch ins Kino gehen, die Heavy User, und dann gibt es aber auch die Leute, die sowieso nie ins Kino gehen. Und da ist es egal, ob du exklusive Fenster hast. Die musst du anders ins Kino holen. Die musst du holen, indem du im Kino etwas anderes anbietest, als sozusagen nur eine Couch an einem anderen Ort. Und wenn schon eine Couch am anderen Ort, dann muss sie sich auch besonders anfühlen.

Manche der Filmschaffenden sehen in Sachen Finanzierung Vorteile bei den Streamern.
Über Streamer funktioniert die Finanzierung sehr direkt: Du willst einen Film machen? Hier hast du das Geld. Mach den Film, dafür gehört der Film mir. Dafür hast du keine Rechte. Was ein Nachteil ist. Aber – dafür kannst du den Film dieses Jahr machen und mit der Herstellung aktuell Geld verdienen. Das heißt, du kannst dir deine Firma finanzieren. Der Haken dabei ist, du hast keine Rechte, von denen du weiter leben kannst, wenn es mal nicht läuft. Das Kapital der Produzenten sind nun mal die Rechte.

Rechte haben beim Fernsehen bedeutet, wenn dein Film wiederholt wird oder Spanien will den Film synchronisieren, bist du normalerweise mit im Boot?
Je nachdem, was du für einen Vertrag hast, ja. Bei den Wiederholungen wird das im Vorfeld verhandelt. Das Fernsehen hat vor allen Dingen bei nicht exklusiv produzierten Filmen die Rechte nur für eine bestimmte Zeit, irgendwann fallen sie an dich zurück.


„Das ist ein steiniger Weg. Dadurch dauert es auch manchmal drei, vier, fünf Jahre bis so ein Film gemacht wird.“

Ab wann gehören die Rechte dem Produzenten?
Nach sieben oder auch fünfzehn Jahren. Je nachdem, dann hast du die Rechte alleine. Und beim Streaming gibst du die Rechte von vornherein ab und bekommst sie auch nicht wieder. Das ist ein Buy out. Das ist natürlich toll, denn du kannst Filme machen, du hast auch Budget-Freiheiten.
Das Problem, das gerade die deutschen Produzenten haben, ist, dass sie Filme nicht aus einer Hand finanzieren können, sondern immer über verschiedene Stufen. Das heißt, du hast eine Ko-Produktion, du hast ein bisschen Eigenkapital und wenn du Glück hast, hast du auch noch von vornherein einen Weltvertrieb, für den du auch noch verkaufen kannst. Und der Rest ist Förderung. Und das ist ein steiniger Weg. Dadurch dauert es auch manchmal drei, vier, fünf Jahre bis so ein Film gemacht wird.

Da ist die Direktheit der Streamer verlockender?
Kurzfristig ja, und wenn du dann auch noch künstlerische Freiheiten hast – was du beim ersten Film meistens hast, irgendwann dann nicht mehr –, dann kommt dabei so was wie „Roma“ ’raus, so was wie „The Power of the Dog“. Das ist einer der besten Filme – und der gehört Netflix. Der gehört nicht mehr dem Produzenten und der gehört nicht dem Kino. Der ist dort zwar eine Weile im Kino gelaufen, das entscheiden die Kinos, ob sie das mitmachen oder nicht. „The Power of the Dog“ wollte ich mir im Kino angucken, weil er unglaubliche Bilder hat, aber er lief zu Zeiten, wo ich ihn nicht besuchen konnte. Dann waren die vier Wochen ’rum und ich habe ihn zu Hause gesehen.

Bist du bei Netflix Mitglied?
Ich hab ein Abo, das ist ganz gut.

Du bist zufrieden? Es gibt ja zig Anbieter.
Du wirst nie zufrieden sein. Denn das, was du sehen willst, findest du immer irgendwo anders. Mit Netflix alleine kommst du nicht mehr hinterher. Mittlerweile gibt es Serien auf RTL+, die willst du sehen, du hast was auf Amazon, was du sehen willst, du hast Serien auf Sky, die du sehen willst. Okay, das ist für mich kein Problem, weil ich natürlich Sky-Abonnent wegen des Fußballs bin. (lacht)
Ich habe bei Sky aber nur ein Abo für Fußball und Serien. Filme gucke ich im Kino!


Alfred Holighaus
ist Development Executive bei Real Film Berlin, www.realfilm-berlin.de