„Bitte keine Beweihräucherung“
Medial rauscht und raunt es gerade, was die Ankündigung von René Redzepi und die Schließung des Noma Ende 2024 betrifft.
Interview: Eva-Maria Hilker
Bedeutet die Ankündigung von René Redzepi ein Wendepunkt für die Restaurantszene?
Sophia Rudolph: Im ersten Moment, als ich die Nachricht hörte, habe ich mich dunkel an eine ähnliche Ankündigung erinnert. Es stellte sich dann als ein Umbau oder ein Umzug heraus. Besonders aufregend fand ich die Ankündigung deshalb nicht. Finally – das war mein erster Gedanke. Ich halte das Noma und sein Konzept mittlerweile für überflüssig. Ich war ein Mal dort zum Essen und von Nachhaltigkeit kann man hier nicht sprechen. Alleine wenn man sieht, wie 30 Leute in der Küche stehen und davon gefühlt 30 Prozent nicht bezahlt werden. Es sind Praktikant*innen, die unbezahlt Blümchen pflücken und einfache Handgriffe ausüben dürfen.
Ragout aus Rentier-Penis oder gestocktem Entenhirn – wie weit kann experimentelles Essen in der gehobenen Küche gehen?
Ich musste bei meinem Besuch Verschimmeltes essen. Bei Käse ist das eine wichtige Komponente, aber warum die Karotte schimmeln muss? Das schien zu der Zeit gerade sexy und angesagt zu sein. Wenn einem nichts mehr einfällt, muss man immer wieder etwas Irres und Schockierendes machen. Klar ist: Jede und jeder in unserer Branche will innovativ, kreativ und unterscheidbar sein, aber man sollte sich und den anderen nichts vormachen wollen.
Sophia Rudolph
Sie ist eine Ausnahmeerscheinung. Sophia Rudolphs Erfahrung in der gehobenen Küche und ihr unverwechselbarer kulinarischer Stil sind beispiellos. Früher im Panama deutlich erkennbar, heute im Lovis, dem Restaurant des Hotels Wilmina, mehr als signifikant. Stand damals jedes einzelne Gericht für sich, komponiert sie heute Menüs und sorgt für ein Gesamterlebnis. Dramaturgisch ausgeklügelt setzt sie weiterhin den Fokus auf Gemüse, das sie aromenstark inszeniert.
Durchweg in Sterneküchen machte sie ihre Erfahrungen und erarbeitete sich ihre ganz eigene Handschrift, auch was die Führung eines Küchenteams betrifft. Nach dem Abitur fing ihre Karriere im „Institut Paul Bocuse“, einer Hochschule für Kochkunst und Restaurant-Management an, es folgten beispielsweise Stationen bei Alain Ducasse oder dem Zwei-Sterne-Haus „Alain Chapel“ in Mionnay, in Berlin im Rutz, dann eben Panama und seit zwei Jahren nun das Lovis.
Ferran Adrià, der Molekular-Koch und zu seiner Zeit weltbekannte Küchenchef, hat nach einiger Zeit seine Küche als Labor verstanden und letztendlich auch sein Restaurant geschlossen. Er und sein Team haben dann mit der Lebensmittel-Industrie zusammengearbeitet.
Das macht Sinn. René Redzepi wird sicher auch etwas anderes nach der Schließung des Noma machen. Grundsätzlich ist diese Arbeit kräftezehrend und wenn man alles erreicht hat, was soll man dann noch machen? Der Druck ist immens, wenn die Gäste mit einer extrem hohen Erwartungshaltung angereist kommen und lange auf der Warteliste standen. Auch sind dann einige der Gäste enttäuscht, weil sie nach ihren Vorstellungen und Erfahrungen etwas Einmaliges, Grandioses erwartet haben. Was dann so nicht erfüllt wird.
Abendfüllendes Storytelling und professionelle PR ist beim Noma wie auch bei der weltweit agierenden Fine-Dining-Szene das Erfolgsrezept.
Für mich als Küchenchefin ist das Wichtigste, dass du theoretisch als blinde Taubstumme oder Taubstummer schmecken kannst, was du isst und es toll findest oder auch nicht. Unwichtig ist für mich, ob du die detaillierte Geschichte der Kuh kennst. Eine Story muss nicht dafür herhalten damit das Steak gut schmeckt und die Karotte muss nicht verschimmeln, um der New Shit zu sein. Um einem Missverständnis vorzubeugen: Wer diese Art von Event favorisiert, wer interessiert ist, woher das Produkt auf dem Teller herkommt, wer und was alles dahinter steckt, soll auf seine Kosten kommen. Aber eine Inszenierung macht ein Gericht, den Geschmack nicht besser.
Es kommt auch der Verdacht auf, nachdem René Redzepi mit seinem Team auch zahlreiche Pop-ups in verschiedenen Ländern initiierte, dass Dänemark ihn langweilte, ihm nicht mehr die abenteuerlichen Produkte liefern konnte, die er braucht, um weiterzukommen.
Ist die angekündigte Schließung des weltbesten Restaurants ein Symptom für die Haute Cuisine, für hochprämierte Restaurants? Ist das Ende des Noma exemplarisch für Fine Dining?
Es wird immer preisgekrönte Restaurants geben, die das Beste aus dem Produkt herausholen, dem Gast einen besonderen Abend, einen besonderen Genuss bieten. Aber irgendwann ist der Markt gesättigt. Und dann verlieren Spitzen-Restaurants an Wert und Aussagekraft. In Berlin beobachte ich gerade diese Entwicklung.
Das Wichtigste für mich persönlich ist, gut und gemütlich zu sitzen, gut zu essen, meine Ruhe zu haben.
Bleiben Prämierungen grundsätzlich hilfreich?
Sie sorgen für Aufmerksamkeit und für mehr Gäste. Für die Personalsuche macht es Sinn. Aber je mehr Auszeichnungen, je höher der Druck sowie die Erwartungshaltung der Gäste – und umso größer kann auch die Enttäuschung sein.
Wie sieht deine Prognose aus für 2023? Gehen die Menschen weniger essen? Gehen sie besser essen?
Es gab die Diskussion, dass die Leute wegen Corona, Inflation und Krieg weniger essen gehen. Unsere Erfahrung im Lovis ist: Die Leute haben Lust zu leben. Das spüren wir deutlich und sind gut besucht!
Lovis
Kantstraße 79, Charlottenburg,