Der Schmelz der Tage
Angefangen hat Sébastien Gorius in einem kleinen Laden in einer eher unbekannten Ecke. Er serviert und verkauft seit zehn Jahren
Es werden Kisten in den Laden geschoben, Pappkartons voller Weinflaschen, riesige Laibe Käse stehen noch vor der Tür. „Das sollte eigentlich schon alles weggeräumt sein, bevor ihr kommt“, so Sébastien. Es steht ein Catering für 350 Leute an, dafür ist das alles, was da hereingefahren und geschleppt wird. Wir sind im Feinkostladen, gehen aber nach nebenan, ins Restaurant. Dort ist es ruhiger.
Und das war auch einmal alles in einem, Feinkostladen und Restaurant. Wie hat das damals alles nur zusammengepasst? „Viel verändert habe ich baulich nicht“, so der Mann aus Frankreich, der seinem Konzept treu geblieben ist. Alle Zutaten und Produkte, sei es für die Frühstücksplatten, Salate, Tartines, für Käsefondue und Raclette, stammen von kleinen Herstellern, die er früher durch seine einjährige kulinarische Frankreichtour persönlich kennengelernt hat oder die er heute entdeckt – z.B. bei besonderen Veranstaltungen.
Wie letztens bei einem Wettbewerb in der Schweiz. Das weltbeste Fondue wurde prämiert. Sébastien hatte der Ehrgeiz gepackt, „drei Monate habe ich getestet, mit viel oder wenig Kirschwasser, mit Knoblauch, ohne Knoblauch“. Es musste ein großer Anteil Gruyère dabei sein, Sébastien verwendete noch Vacherin und einen Bergkäse aus dem Savoir. Einen Preis bekommen hat er leider nicht. Aber Anerkennung von den Schweizern, dass sein Fondue sehr gut sei. „Wenn ein Schweizer einen Franzosen lobt – das soll etwas heißen“, so Sébastien.
Aber in Berlin sind seine Fondues heiß begehrt und nicht nur im Winter. Im Sommer sitzen tatsächlich Gäste draußen auf dem Trottoir und stippen Brot in den geschmolzenen Käse. „Ich erinnere mich noch gut an ein Paar, das bei 40 Grad draußen saß und Fondue bestellte.“ Ab Dezember gibt es neben dem klassischen Fondue nach dem Rezept seiner Großmutter und Namensgeberin Augusta noch weitere Varianten.
An Käsesorten mangelt es nun wirklich nicht. Nebenan im Feinkostladen stapeln sich unter anderem in einem Regal zehn Sorten Raclette: Klassiker aus Rohmilch, aus Kuhmilch, welche mit Bärlauch, Bockshornklee, dann ein paar mit pasteurisierter Milch. Für besondere Tage empfiehlt Sébastien einen Comté, er hat einen 18 Monate und 24 Monate alten Käse da und bekommt noch einen, der 31 Monate alt ist. Comté sei etwas Besonderes. „Drei Personen sind beteiligt: der Bauer, der die Milch zum Käsemeister bringt, der diese im Kupferkessel erwärmt, den Bruch presst und für ein paar Monate lagert, danach geht es zu einem weiteren Fruitière, der dann in einem Reifekeller tausende Käselaibe reifen lässt, bis zu 48 Monate.“ Zum 18 Monate alten Comté empfiehlt er einen Chateau-Chalon 2014, zu einem Brie mit Trüffel muss es unbedingt ein sehr trockener Champagner sein, ein Champagne brut nature Vve Fourny et Filles.
Sébastien hat einen authentischen Ort geschaffen, ein Stück weit in das französische Lebensgefühl abtauchen zu können
Nicht zu vergessen und alltagstauglich ist der Käse aus der Schachtel. Der Mont d’Or aus dem französischen Jura ist jahreszeitlich für den heimischen Ofen geeignet. Mundet aber mit Pellkartoffeln und einem Glas Wein auch bei Sébastien im Restaurant. Reservierung ist obligatorisch. Es gibt zwei Seatings mit jeweils 26 Plätzen. Doch nichts hat sich an der ursprünglichen Idee, der Atmosphäre geändert. Sébastien hat einen authentischen Ort geschaffen, ein Stück weit in das französische Lebensgefühl abtauchen zu können.
Als er nach Berlin kam, wollte er Teil der lebendigen und sich noch immer verändernden Stadt werden. Heute ist er aus dem Kiez nicht wegzudenken. Und seine Kundschaft? Die hätte sehr viel mehr Interesse und Kenntnisse erlangt, wenn es um das Thema Käse ginge. Sogar in normalen Supermärkten würde man mittlerweile gute Qualität entdecken.
La Cantine d’Augusta
Langenscheidtstraße 6/6a, Schöneberg,