Fotos: Selina Schrader Aufmacher Regine Schneider
Regine Schneider

„Ich bin nur die Mittlerin, ich mache nur die Tür auf“

Sie kennt kaum jemand. Was haben auch Gäste mit den Agenturen zu tun, die dafür sorgen, dass ihre Kunden – die Restaurants, Bars, Cafés – bekannt werden? Niemand, der oder die gerne Essen geht oder an der Bar einen Drink zu sich nimmt. Doch offen gesagt – ohne sie wäre die Arbeit von Journalist*innen beschwerlicher und die Gastronomie hätte einiges an Mehrarbeit, um in den Medien veröffentlicht zu werden, sprich, dass Genussmenschen von guten Adressen erfahren würden. Doch keine Sorge: Nichts wird besser geschrieben als es tatsächlich schmeckt. Das kann Regine Schneider von der Agentur „Die Schneiderei“, eine von rund fünf der renommiertesten Agenturen in Berlin, nur bestätigen. Wir haben sie zum Frühstück getroffen und zum Agenturleben befragt

Interview: Eva-Maria Hilker • Fotos: Selina Schrader

Die Schneiderei gehört zu den etablierten Agenturen Berlins. Angefangen hast du als One-Woman-Show …?
Regine Schneider: Ich habe im März 2010 im Homeoffice angefangen, vor genau 14 Jahren. Heute sind wir vier Frauen, zwei PR-Managerinnen und eine Mitarbeiterin im Office, sie hält uns den Rücken frei. Das ist das Maximum an Team, was ich jemals hatte, mehr möchte ich zurzeit auch nicht.

Wer war dein erster Kunde?
Das war das Restaurant Tim Raue. Ich habe vor meiner Selbstständigkeit drei Jahre bei einer Beraterfirma gearbeitet und die Adlon-Holding war Kunde, also auch das Ma und Uma auf der Rückseite des Adlons. Und da war noch Zwiesel Glas. Das Restaurant Tim Raue ist bis heute geblieben und lustigerweise ist Zwiesel wieder mein Kunde. Allerdings bedienen wir heute für das Unternehmen die gesamte Bandbreite der Medien, damals habe ich nur die Fachpresse betreut.

Du warst also für das B2B – also für die Kommunikation innerhalb der Branchen zuständig.
Genau. Und die funktioniert anders als die Lifestyle-Presse. Die Fachpresse möchte Fakten, Daten, Zahlen – und nicht unbedingt die Geschichten dahinter.


„Denn es ist mir wichtig, dass alles, was wir für unsere Kunden kommunizieren, hinterfragt wurde – also Hand und Fuß hat.“

Es scheint, dass wir Food-Journalist*innen fast schon romantisch veranlagt sind. Fakten – also wer, was, wann, wo – sind obligatorisch. Aber Appetit macht das nicht. Trotzdem will niemand Märchen erzählt bekommen. Wie kriegt man das hin, dass man seriös und zuverlässig mit der Presse arbeitet?
Wichtig ist, dass man sich im Vorfeld überlegt, welche Werte man vertritt. Zum einen: Wir lügen nicht. Jede und jeder, die oder der mich und mein Team kennt, weiß, dass wir auch unseren Kunden gegenüber kritisch sind, und zweitens: Wir geben uns nicht damit zufrieden, was unsere Kunden erzählen. Wir hinterfragen immer, ob das, was uns erzählt wird, auch stimmt. Daher gehen wir zuerst immer einmal dort essen. Danach setzen wir uns zusammen, befragen die Gastronom*innen nach ihrer Geschichte und erarbeiten gemeinsam die Unique Selling Points, wie man so schön sagt. Natürlich schauen wir uns auch den Kiez und die Mitbewerber an. Erst, wenn wir herausgefunden haben, was den Betrieb besonders macht, senden wir eine Meldung aus. Denn es ist mir wichtig, dass alles, was wir für unsere Kunden kommunizieren, hinterfragt wurde – also Hand und Fuß hat.

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Deine Kunden sind größtenteils aus der gehobenen, national wie international erfolgreichen Gastronomie.
Das liegt auch auf der Hand. Ein kleiner Betrieb kann sich PR nicht leisten.

Man könnte jetzt sagen, dass diese Betriebe benachteiligt sind, im Wettbewerb um Gäste und um ihre erfolgreiche Existenz.
Stimmt absolut nicht! Schau dir zum Beispiel in Berlin „Wen Cheng Noodles“ an. Sie haben sicherlich keine Agentur, behaupte ich jetzt mal. Und wann immer ich dort vorbeifahre, stehen 30 Leute vor der Tür und holen sich ihre Portion Nudeln ab. Wenn man seine Sache gut macht und den Nerv der Zeit erkannt hat, dann braucht man keine PR-Agentur.

Ist dieser Erfolg dem Social-Web-Marketing, den Influencer*innen zu verdanken? Ist das eine spürbare Konkurrenz für PR-Agenturen?
Überhaupt nicht. Sie ergänzen unsere mediale Zielgruppe. Es sind wichtige Ansprechpartner*innen. Ich glaube nicht, dass Wen Cheng bewusst diese Mediengruppe angesprochen bzw. eingeladen hat. Diejenigen, die eine gewisse Reichweite haben, gehen als normaler Gast dahin, empfehlen die Adresse anschließend und dann kann es durch die Decke gehen.

Zurück zu deinem Business. Wie bist du an euren Kundenkreis gekommen?
Da bin ich sehr privilegiert. 99,9 Prozent unserer Kunden kommen auf uns zu. In den vergangenen 14 Jahren bin ich lediglich auf zwei Kunden aktiv zugegangen, weil ich sie selbst so toll fand und wir als Team Spaß daran hätten, sie zu unterstützen. Einer dieser Kunden war die schottische Design-Firma Bluebellgray. Wir haben sehr lange Jahre für die Stadt Glasgow gearbeitet und bei einem meiner Besuche dort habe ich das Unternehmen kennengelernt. Ich fand es so toll, dass ich der Chefin danach eine Mail geschrieben habe. Und ich hatte Glück: Sie hat kurz danach angefangen, ihre Produkte nach Deutschland zu exportieren und wir haben den Zuschlag bekommen. Heute ist Bluebellgray zwar kein Kunde mehr, aber wir stehen immer noch in losem Kontakt.

Als PR-Agentur vertrittst du und dein Team deine Kund*innen und deren Ideen nicht nur nach außen. Du berätst sie auch. Das war z.B. beim Restaurant Tante Fichte erkennbar. Zuerst war die Umbenennung ein Thema, früher hieß das Restaurant Herz & Niere, was auch Programm war, nämlich das ganze Tier zu verarbeiten. Dann wurde der neue Name veröffentlicht, über das Konzept wenig gesagt. Irgendwann tauchte dann der „beschwipste Lunch“ auf und es wurde offensiv eine Küchenrichtung mit kroatischem Einfluss kommuniziert. Wie viel Anteil hast du an solchen Neukonzipierungen?
Bevor wir loslegen, machen wir immer einfach strukturierte Workshops mit unseren Kunden. Dabei stellen wir vier simple Fragen: Was macht ihr? Für wen macht ihr das? Warum macht ihr das? Und wie macht ihr das? Das klingt simpel, aber die ersten Antworten sind fast immer die gleichen. Es heißt dann, wir sind ganz besonders, weil: Wir kochen frisch, wir kochen regional, wir kochen saisonal, wir benutzen nur die besten Produkte, wir kennen unsere Lieferanten, wir sind super herzlich, wir sind professionell, wir haben eine tolle Weinauswahl und so weiter.


„Dann beginnt die Arbeit. Oft ist es nur ein Detail, das im Gespräch auftaucht. Mein Gespür sagt mir dann, dass genau dieses Detail den Unterschied ausmacht.“

Das hört sich nicht besonders originell an.
Stimmt. Aber trotzdem ist es verständlich. Denn viele Gastronom*innen befinden sich in einer Blase und haben aufgrund der vielen Arbeit wenig Zeit, sich zu vergleichen. Ich versuche dann, ihnen genau das aufzuzeigen – also zu zeigen, dass wenn ich ihr Logo abdecke und mit einem anderen ersetze, alle Aussagen auch auf die anderen zutreffen. Dann beginnt die Arbeit. Oft ist es – wie bei Tante Fichte – nur ein Detail, das im Gespräch auftaucht. Ein Moment, bei dem etwas bei mir hängenbleibt und an dem ich nachfrage. Mein Gespür sagt mir dann, dass genau dieses Detail den Unterschied ausmacht. Bei manchen fehlt der Mut, die Ideen dann auch umzusetzen – vielleicht weil es zu eckig und kantig ist. Und manche sagen: Ah, ja, hab ich verstanden, machen wir. Und dann arbeiten wir das gemeinsam aus.

Aber ein Großteil der Gastronomie ist von den Konzepten doch überzeugt.
Das ist richtig. Sonst hätte ich wohl keine Kunden. Es ist ja auch das, was meinem Team und mir am meisten Freude bereitet – diese Unterschiede, also die USPs, zu erkennen und damit zu arbeiten. Wir helfen dabei eigentlich nur, das zu erkennen, was Gastronom*innen aufgrund langer Arbeitstage oder mangelnder Möglichkeiten des Vergleichens selbst nicht sehen.

Was Journalist*innen ständig tun, nämlich unterschiedliche Konzepte kennenlernen. Wie gehst du mit den unterschiedlichen Ansprüchen und Selbsteinschätzungen um?
Journalist*innen haben einen gewissen Erfahrungsschatz, sie gehen mehrmals in der Woche oder im Monat essen, manchmal auch international. Das kann sich nicht jede*r Gastronom*in leisten. Manchmal resultiert daraus dann ein Feedback, das dem Gastronom oder der Gastronomin nicht so passt und das auch schwer nachvollzogen werden kann, weil eben die Vergleichbarkeit fehlt.

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Vermittelst du zwischen den beiden Parteien?
Nein, aber um es mal ein bisschen platt auszudrücken: Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Wenn man sich als Gastronom*in entscheidet, rauszugehen und zu kommunizieren, dann muss man auch ertragen, dass es jemandem nicht gefällt. Das gehört dazu!

Du arbeitest auch mit internationaler Kundschaft und internationalen Food-Jounalist*innen. Gibt es unterschiedliche Bewertungskriterien und Umgangsformen?
Erstmal muss ich sagen, dass wir uns glücklich schätzen können, dass wir in Berlin überhaupt so viele Medien haben. Wir haben hier vier große Tageszeitungen, die alle ein Gastro-Ressort haben. Wir haben mehr gute Journalisten als in anderen Städten, was ich super finde. Dazu kommen wirklich viele Influencer*innen aus allen Bereichen. Ob sie jetzt anders drauf sind oder nicht, ist egal. Mein Job ist es, sie einzuladen und sie in die Restaurants zu bringen.

Dein Erfolg ist der Erfolg deiner Kunden. Und er hängt davon ab, wie groß die Öffentlichkeit ist und wie es verbreitet wird, oder?
Absolut, aber ich bin nur die Mittlerin. Ich mache nur die Tür auf. Was am Ende geschrieben wird, darauf habe ich keinen Einfluss. Das kommunizieren wir auch immer an die Journalisten. Vielleicht ist das auch ein Teil unseres Standings.

Ein weiterer Punkt bei euer Arbeit ist, dass ihr nicht nervt.
Das hören wir auch von Redaktionen aus Hamburg oder München. Die finden es angenehm, dass wir nicht nachtelefonieren, nicht jeden zweiten Tag eine Mail schicken. Das entspricht auch nicht meiner Arbeitsmoral. Redakteur*innen haben genug zu tun, es gibt immer weniger Kolleg*innen vor Ort, dafür immer mehr Verantwortung, sie stehen unter enormem Druck und sollen gute Texte schreiben. Da müssen wir nicht auch noch nerven.


„Wir sind sehr verwöhnt in Berlin. Wenn du mal in andere Städte oder kleinere Ortschaften gehst, dann weißt du, wie gut es uns hier geht.“

Apropos Nerven – gute Nerven sind auch bei den Gastronom*innen gefragt. Eine Herausforderung jagt die nächste. Erst Corona, dann Krieg und Inflation, jetzt auch wieder 19 Prozent Umsatzsteuer. Was hat das für deine Agentur an Auswirkungen?
Durch Corona sind wir gut durchgekommen, durch Kurzarbeit und durch loyale Kunden. Wir waren sehr flexibel: Indem wir teilweise preislich runtergegangen sind oder bei denen einfach ausgesetzt haben, bei denen wir wussten, dass sie es sich nicht leisten können. Unsere Hoffnung war, dass sie wieder zurückkommen, wenn es ihnen besser geht. Und das hat sich in neun von zehn Fällen auch bewahrheitet. Wir haben außerdem die Ärmel hochgekrempelt und selbst operativ mit angepackt. Ich weiß nicht, wie viele Hunderte Gourmetboxen ich im Büro mit meinem Mann und meinen Kindern gepackt habe. Die Steuererhöhung, steigende Löhne und Energiepreise sind natürlich weitere Herausforderungen. Ich habe aber das Gefühl, dass ein Großteil der Gastronomie flexibel reagiert und auch damit entsprechend gut umgehen wird.

Mir fehlt ein Stück Berlin – der anarchistische Moment in der Gastronomie, die neuen Ideen, der Wagemut, was Neues auszuprobieren.
Ich glaube, dass du da zu kritisch bist. Wir sind sehr verwöhnt in Berlin. Wenn du mal in andere Städte oder kleinere Ortschaften gehst – wir haben dort viele Kunden im mittelständischen Bereich, die eben nicht in einer Metropole sitzen –, dann weißt du, wie gut es uns hier geht und wie kreativ und innovativ wir sind.

Die Schneiderei – Atelier für Texte und Konzepte
Thorwaldsenstraße 18, Steglitz, Tel. 030 91 50 55 01, www.die-schneiderei-berlin.de