„Die Stadt schmeckt vielseitiger“
Es ist eines der spannendsten und innovativsten Food-Festivals in Berlin. Und das seit zehn Jahren. Von Anfang an beweisen Alexandra Laubrinus und Michael Hetzinger mit der Berlin Food Week ein Gespür für Themen und Visionen, die die Gastronomie und die Food-Branche bewegen. Ein Gespräch über Erfahrungen, Krisenbewältigung und Veränderungen
Interview: Eva-Maria Hilker •
Das Zitat der amerikanischen Journalistin Martha Stewart „Food is the new fashion“ erklärte 2014 Ernährung als wichtiges Lifestyle-Thema. Heute, 2024, ist Ernährung weit mehr als das. Es ist Welt- und Klima-Politik. Wie habt ihr die Entwicklung erlebt und mit der Konzeption der Berlin Food Week darauf reagiert?
Alexandra Laubrinus: Thema Nachhaltigkeit – das hat bei uns von Anfang an eine Rolle gespielt. Schon 2014 haben wir unter dem Motto „Gemüse ist mein Fleisch“ das Stadtmenü organisiert. Ein anderer Programmpunkt war, dass wir mit Kindern zur Domäne Dahlem gefahren sind und mit ihnen Kartoffeln geerntet haben.
Michael Hetzinger: Wir haben unterbewusst, instinktiv ganz viel von Anfang an richtig gemacht. Deutlich und laut kommuniziert haben wir das damals noch nicht.
Alexandra: Mit Frank Lüske, dem Gründer des gleichnamigen Marktes in Zehlendorf, haben wir damals eine Schweinehälfte im Kaufhaus Jandorf aufgehangen. Wir haben mit dieser Art der Ausstellung auf das Handwerk, auf die „From Nose to Tail“-Bewegung hingewiesen. Wie Micha schon gesagt hat, haben wir das kommunikativ nicht in den Mittelpunkt gerückt. Wir sind damals bis heute auf die Entwicklungen in der Kulinarik, der Gastronomie eingegangen und spiegeln das jedes Jahr wider. Am Anfang war uns nicht bewusst, dass sich das am Ende zu einem Megatrend entwickelt.
Heute ist Ernährung im Zusammenhang mit Klimawandel ein Politikum. Klimaneutralität, Tierschutz, Tierwohl, Gesundheit sind ernsthafte Themen. War früher mehr Party? Feierte die Foodie-Szene mehr und ausgiebiger den Genuss?
(Beide nicken)
Michael: Es war auf jeden Fall unbeschwerter. Essen bzw. Ernährung ist mehr zum Statement geworden. Weniger im Sinne von „Ich genieße!“, es dreht sich eher um bewussten Verzicht, um nachhaltigen Konsum. Das nimmt dem Ganzen ein bisschen die Leichtigkeit. Insgesamt ist es ernsthafter geworden. Manchmal habe ich den Eindruck, dass man gar nicht mehr offen zugeben kann, was man alltäglich isst. Ich gebe zu, dass ich vielleicht zu viel Fleisch esse. Ich brauche Proteine, weil ich viel Sport mache. Beim Thema Essen bewegt man sich manchmal auf dünnem Eis. Wir registrieren also schon, dass Genuss auf eine schöne, unbeschwerte Art und Weise heute nicht mehr so einfach ist.
Alexandra: Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Wertschätzung. Bei einer Party, einem ungezwungenem Abend, ist Essen nur eine Komponente. Doch die Wertschätzung für das, was auf dem Teller liegt, für die Menschen, die es zubereitet haben, ist sehr viel mehr in den Fokus gerückt.
„Wir versuchen mit unserem Programm, mit neuen Konzepten, die Trends abzudecken, die wir vielleicht vorher nicht so berücksichtigt haben.“
Keine gelungene Party, keine Feier ohne gutes Essen! Es gab vor ein paar Jahren zu Beginn der Berlin Food Week die „Food Night“. Das war schon mehr eine Party, ein gelungener Branchentreff, wo sich alle getroffen und gefeiert haben.
Alexandra: Die „Food Night“ ist ein konkretes Beispiel der Entwicklung von Ernährung. Früher war es Party ohne viel Inhalt und heute ist es das genaue Gegenteil, nämlich sehr viel Inhalt und keine Party, sondern ein innovatives Menü, thematisch fokussiert auf Zukunft und Nachhaltigkeit. Es braucht uns nicht, um einmal im Jahr eine große Party zu feiern. Wir wollen über Themen reden. Wir wollen anregen. Wir wollen Leute zusammenbringen, auf einer inhaltlichen, thematischen Ebene. Wir sind halt auch erwachsener geworden.
Euer Anspruch vor zehn Jahren war, eine Plattform für die gesamte Berliner Food-Szene zu schaffen. Wie weit seid ihr gekommen?
Alexandra: Wir versuchen mit unserem Programm, mit neuen Konzepten, die Trends abzudecken, die wir vielleicht vorher nicht so berücksichtigt haben. Seit letztem Jahr sind zum Beispiel Weinbars dazugekommen.
Die Weinbars waren zu Corona-Zeiten einmal Überlebenskonzept der Gastronomie und Anlaufstellen für Genießer*innen. Essen gehen konnte man zeitweise überhaupt nicht. Wie habt ihr die Krisenzeiten bewältigt? Wie sah eure Unterstützung der Gastronomie aus?
Michael: Während Corona konnte logischerweise die Berlin Food Week als Festival nicht stattfinden. In der Zeit haben wir „Das größte Kochbuch der Welt“ gemacht. Es war eine Idee von Alexander von Hessen, einem der Gründer der Berlin Food Week. Wir haben die Rezepte von Restaurants auf großen Plakaten veröffentlicht, das war dann quasi das größte Kochbuch der Welt. Das war als Support für die Gastronomie in dem Moment gedacht, die Gastro sollte Aufmerksamkeit bekommen.
War da nicht noch was im Bikini?
Alexandra: Genau! Mit unserem Partner DelicioUS!, einer Plattform, die vom Landwirtschaftsministerium der Vereinigten Staaten in Zusammenarbeit mit US-Handelsverbänden ins Leben gerufen wurde, haben wir einen Pop-up-Shop initiiert. Dort wurden Produkte verkauft, die Berliner Gastronomen in ihren Küchen hergestellt haben.
Michael: Zudem haben wir verschiedene Food-Touren mit Kolleg*innen und Journalist*innen unternommen und die dann im Social Web veröffentlicht – unter anderem auch im EssPress. Wir sind von Restaurant zu Restaurant gewandert und haben an Ständen vor oder sogar im Restaurant Snacks und Fingerfood eingekauft.
Alexandra: Aus dieser Erfahrung ist auch das Konzept entstanden, Angebote zu schaffen, die niederschwellig sind, für Menschen, die aufs Geld achten müssen. Das heißt, einfach mal entspannt auf ein gutes Glas Wein, zum Apéro am späten Nachmittag oder frühen Abend sich mit Freunden treffen und eine schöne Zeit haben, für ein kleineres Budget.
„Mit Workshops bieten wir jungen Menschen, die sich für einen Job oder eine Ausbildung in der Gastronomie interessieren, einen Einblick in den beruflichen Alltag.“
Aber es gab nicht nur Erweiterungen eures Programms.
Alexandra: Das Format „Stadtmenü“ haben wir eingestellt, das Interesse der Gastro-Branche war nicht mehr da. Im Prinzip war es eine Kommunikations- und Marketingmaßnahme für Restaurants, die keinen Cent gekostet hat. Aber wir mussten bei den Gastronom*innen viel Überzeugungsarbeit leisten. Wenn es so viel Energie kostet, die Branche zu überzeugen, dann kann es nicht mehr die richtige Maßnahme sein. Dann passt es vielleicht nicht mehr in die Zeit. Das lag sicher auch an Corona. Weniger Personal, zu viel Aufwand, für eine Woche ein Menü zu entwickeln – das war einfach zu viel.
Das Stadtmenü hat nicht mehr den Anklang gefunden bei der Gastronomie?
Alexandra: Die Branche hat sich weiterentwickelt, hat sich im Kommunikationsbereich anders aufgestellt. Als wir angefangen haben, haben wir viele Gastronomien im Bereich PR unterstützt. Heute haben viele PR-Agenturen engagiert, veranstalten eigene Events.
Aber ihr habt reagiert auf die aktuelle Lage der Gastronomie mit „Gönn dir Gastro“.
Alexandra: Wir haben kein neues Eventformat eingeführt, sondern gemeinsam mit dem Senat auf die Personalsituation reagiert.
Michael: „Gönn dir Gastro“ ist unsere Nachwuchskampagne. Mit Workshops bieten wir jungen Menschen, die sich für einen Job oder eine Ausbildung in der Gastronomie interessieren, einen Einblick in den beruflichen Alltag. Sie können hinter die Kulissen schauen und in den Restaurants erleben, was für ein vielfältiger Aufgabenbereich das ist. Man nimmt an kleineren Workshops teil, arbeitet in der Küche mit, bekommt ein Gefühl dafür, was eigentlich Gastgeben bedeutet oder was für Komponenten eine Rolle spielen, wenn man den perfekten Drink mixt. Verschiedene Experiences sollen die jungen Menschen für diesen Beruf begeistern, und sollen zeigen, dass der Beruf innerhalb der Gastronomie viel mehr ist, als nur einen Teller durch die Gegend zu tragen oder ein Schnitzel anzubraten.
Hast du eine Zahl, wie viel angeboten wird?
Alexandra: In diesem Jahr werden wir über 40 Workshops anbieten können.
Jetzt kommen wir zu einem Anspruch, den ihr 2014 hattet und dem wir wohl gemeinsam nachhängen, oder? Ich zitiere: „Wir wollen Berlin zur Food-Metropole von Weltrang machen.“
(Allgemeines Schmunzeln)
Michael: Wir waren jung und dumm.
Ich bin alt und dumm. Aber glaubt ihr immer noch, dass Berlin das Potenzial hat?
Michael: Ja. Man muss schon sagen, dass Berlin schon deutlich prominenter mit seinen gastronomischen Angeboten geworden ist als vor zehn Jahren. In der Wahrnehmung von außen hat sich Berlin entwickelt. Die gastronomische Landschaft ist einer der wichtigsten Reisegründe für Touristen. Berlin hat die meisten Sterne in ganz Deutschland. Es gibt viele internationale Konzepte, die mittlerweile auch hierher kommen und aufmachen. Das wäre vor zehn Jahren nicht denkbar gewesen. Ob wir da jetzt einen Anteil daran haben?
Alexandra: National, das muss man sagen, schaffen wir schon Sichtbarkeit für die Stadt.
„Wir sind sehr stolz, dass Ferran Adrià anlässlich unseres 10-Jährigen kommt und über den Einfluss der katalanischen Spitzengastronomie auf die Spitzengastronomie in ganz Deutschland, aber auch Europa spricht.“
Jetzt stellt euer Licht nicht unter den Scheffel. Dieses Jahr sorgt ihr für internationale Reichweite.
Alexandra: Du spielst auf Ferran Adrià an. Wir sind sehr stolz, dass er anlässlich unseres 10-Jährigen kommt und über den Einfluss der katalanischen Spitzengastronomie auf die Spitzengastronomie in ganz Deutschland, aber auch Europa spricht. Er ist einer der wichtigsten Akteure in der europäischen Kulinarik.
Können wir uns in Zukunft darauf gefasst machen, dass ihr noch mehr Internationalität nach Berlin holt?
(Erst Gehüstel, dann Gelächter)
Was steht dem im Wege?
Alexandra: Es sind wie immer die Finanzen. Im Fall Ferran Adrià ist es tatsächlich mehreren sehr schönen Umständen geschuldet, dass das funktioniert. Aber in der Regel, wenn du solche Menschen holen willst, dann musst du zahlen. Wie bei allen anderen Thematiken auch, sei es die Fashion Week, die Berlinale, es ist immer eine Frage des Geldes, ob die großen Stars kommen.
Michael: Das gilt auch für national und international tätige Journalist*innen, die nach Berlin kommen und darüber berichten sollen.
Alexandra: Die Kampagne „Gönn dir Gastro“ wird vom Senat finanziert. Doch nach wie vor wird das komplette Programm von Sponsoren finanziert, dabei fließen keine öffentlichen Gelder.
Das ist ungewöhnlich für ein Festival, was sich zur Aufgabe gemacht hat, Stadtmarketing, also Gastronomie-Marketing zu betreiben, aber privat finanziert wird. Das ist ein Modell, was wir so von anderen Städten nicht kennen.
Alexandra: Richtig. Die meisten anderen großen Festivals wie beispielsweise die in Hamburg und Zürich arbeiten mit Wirtschafts- und Tourismusförderungen.
Weg vom Thema Finanzen zu einer erfreulichen Wiederbelebung. Die „Food Clash Canteen“ gibt es wieder.
Alexandra: Es ist ein Comeback, allerdings in einer neuen Form. Aus einem abendfüllenden Format haben wir eine Casual-Variante kreiert. Es geht um ikonische Gerichte. Die sind der kulinarische Teil der „Iconic“-Ausstellung im Volkswagen Group Forum. Es wird sehr kurzweilig, Entertainment wird geboten. Wir haben einen Maître de Plaisir, Friedrich Liechtenstein, Gastgeberin der Abende ist Felicitas Then. Wir haben jeden Abend einen Special Guest aus dem Sternebereich: Rosina Ostler, Thomas Imbusch und Marco Müller. Jeden Abend sind Kiezgrößen dabei.
Abschließende Frage: Wie würdet ihr den Geschmack der Stadt Berlin beschreiben? Für Alexandra war es damals der nach Erbsen. Und für Micha war es gutes Brot mit Butter und Schinken oder Salami. Also, wie schmeckt die Stadt zurzeit?
Alexandra: Ich habe die Frage damals völlig falsch verstanden. Ich persönlich liebe immer noch Erbsen. Aber die Stadt schmeckt vielseitiger, vielschichtiger. Egal, auf was man Lust hat, man findet aus jeder Ecke der Welt ein spannendes Restaurant oder tolle Gerichte. In den letzten zehn Jahren hat sich auch vor allen Dingen die Wertschätzung für deutsche Küche gesteigert. Ich denke an Trio, an Aerde, Zur letzten Instanz.
Michael: Ich stimme Alexandra zu. Zum einen schmeckt Berlin noch internationaler, noch facettenreicher, noch wilder. Zum anderen aber auch wieder heimatlich. Und es ist mehr Brandenburg nach Berlin gekommen. Das Regionale hat eine größere Bedeutung bekommen. Das finde ich eine schöne Mischung, die Berlin jetzt noch viel mehr ausmacht als damals.
Berlin Food Week vom 7. bis 13. Oktober