„Ich bin kein Ideologe“
Im Restaurant Tim Raue stehen auffallend viele grüne Pflanzen. Auf den Tellern findet sich diese Farbe in Form von Kräutern wieder. Was es damit auf sich hat und was Tim Raue noch so alles vorhat, erzählt er bei einem Treffen
Interview: Eva-Maria Hilker • Fotos: Belek Wunderlich
Gerade haben wir peruanische Minze probiert – aus dem Infarm-Gewächsschrank.
Tim Raue: Mit der peruanischen Minze hat es angefangen. Wir, also das Küchenteam, waren eingeladen auf der Chefsrevolution. Dort hat ein Cocktailmixer diese Minze gehabt, es sah aus wie Gras. Wir haben es probiert und waren begeistert. Ich habe einen Strauß davon mitgenommen und unseren hiesigen Kräuterexperten gefragt, ob er das anbauen kann. Das gestaltete sich schwierig. Aber just in diesem Zeitraum hat die Metro in der Filiale am Ostkreuz mit Infarm das erste kleine schlichte Plexiglashäuschen gebaut.
Aber nicht mit peruanischer Minze?
Infarm hat erst mal Koriander und ich glaube um die 17 verschiedene Sorten Basilikum angebaut. Ich habe ihnen die Überreste der peruanischen Minze gegeben und gefragt, ob sie damit was anfangen können. Nach vier Wochen kam der Anruf: Tim, can you come over? Wir haben deine peruanische Minze fertig. Erst dachte ich, sie bauen das für uns an und beliefern uns. Die Idee hinter Infarm ist aber, dass der Gewächsschrank vor Ort steht und Infarm das Saatgut ansetzt und wir dann selbst ernten.
Wir stehen jetzt in der zweiten Etage im Flur von euren Büroräumen. Da habt ihr einen Platz gefunden?
Anfänglich wussten wir nicht wohin damit. Heute ist für uns ganz elementar, dass wir die peruanische Minze haben, mit der kann uns bis heute niemand beliefern. Und wir haben uns im Laufe der Zeit mit Koriander auseinandergesetzt. Das ist das Kraut, das wir am meisten benutzen. 20 verschiedene Koriandersorten haben wir ausprobiert, bis wir die hier gefunden haben, die ist besonders fein und hat nicht dieses Seifenartige. (Pflückt ein Blatt und reicht es weiter.)
Die hat ein ganz feines Aroma. Der Schrank ist voll mit unterschiedlichsten Kräutern.
Dann brauchten wir Limette, also Limettenbasilikum fürs Dessert. Dann noch was, was es nicht zu kaufen gibt, was niemand anderes hat, das ist Wasabipflanze. Die gehört zu den Meerrettich-Senf-Gewächsen. Wir machen Öl daraus und nehmen es natürlich auch, um es oben drauf zu legen. Und genauso ist dann mit der Pak-Choi-Pflanze, die wir alle kennen, unten weißer Strunk, oben dunkelgrüne Blätter.
Die kommen als eines der verschiedenen Amuse auf den Tisch.
Genau, da ist ein Tupfer aus Sauerrahm und Limettensaft darauf. Der große Vorteil von Infarm sind drei große Säulen. Das eine ist: Du erntest es selber. Das heißt, du kannst bestimmen, in welcher Größe und in welcher Geschmacksintensivität du die Kräuter haben möchtest: Je kleiner, umso intensiver – meistens. Je größer, umso nutzbarer für Öle, Pürees und Pasten. Das Zweite ist: Du kannst bestimmen, was du haben möchtest. Und drittens: wir sind saisonunabhängig. Wir arbeiten gerade daran, dass wir Eisenkraut das ganze Jahr über ernten und verwenden können. Das ist jetzt nichts für unsere regionalen Freunde. Uns ist es wichtig, dass wir zwölf Monate lang unseren Gästen die gleiche Qualität bieten können. Und noch ein wichtiger Faktor: Die Kräuter wachsen nicht im Freien und werden mit irgendetwas verseucht oder wachsen auf beschissenem Boden, es gibt kein schlechtes Wasser und keinen sauren Regen.
Regional und saisonal ist nicht eure Baustelle?
Spannend ist die Idee, dass du auf deine eigenen Ressourcen zurückgreifen kannst, dass du nicht den Weg eine Stunde außerhalb von Berlin hin und eine Stunde zurück machen musst, das ist reizvoll. Dass die Qualität der Produkte dann hervorragend ist, steht außer Frage.
Wie betreuungsintensiv ist das?
Es geht eigentlich, es sind pro Tag so 15 bis 20 Minuten. Zu farmen, zu gucken, zu ernten, mehr ist das nicht.
Es wird also nicht von Infarm computergesteuert?
Nein, die kommen einmal die Woche, tauschen die Pflanzen und kontrollieren, ob der Schrank so funktioniert wie er soll. Für mich ist das Wichtigste, dass wir hier Produkte haben, die wir sonst nicht kriegen würden.
Wäre es von der Umweltbilanz her nicht fast besser, alles einzufliegen? Der Schrank verbraucht doch ganz schön viel Energie?
Ja, aber dafür hab ich jetzt hier auch die Temperatur, die ich in Singapur oder Bangkok hätte. Das heißt, ich hab das, was ich immer wollte: Ich kann in Asien leben, zumindest die Hälfte meines Tages. (Lacht.)
Im Ernst: Natürlich ist es am Ende des Tages wichtig, dass wir darauf achten, was wir essen und wie es produziert wird und welchen Aufwand man betreibt. Wenn man eine Farm eine Stunde außerhalb von Berlin hat, da muss man auch irgendwie hinkommen und mit irgendwas hinfahren. Es ist gehupft wie gesprungen. Ich bin kein Ideologe, mir geht es um das Produkt. Ich möchte das bestmögliche Produkt in der amüsantesten geschmacklichen Version auf den Teller bringen, um Gäste zu begeistern, die aus der ganzen Welt herkommen oder auch nur von um die Ecke, um gut zu essen. Das ist mein Anspruch!
Was ist mit der zurzeit viel beschworenen Abfallvermeidung?
Wir haben No Waste seitdem ich Küchenchef bin. Weil ich selber so aufgewachsen bin, dass Wegschmeißen eins der übelsten Dinge ist und wir wirklich das, was übrig bleibt, ob das Fisch-, Fleisch-, Geflügel-, Gemüse- oder Obstreste sind, alles in Fonds verarbeiten. Dieses Wegwerfen ist eine gesellschaftliche Schwierigkeit. Natürlich gibt es Kollegen, die das enorm thematisieren und sich darüber profilieren. Aber gehst du in ein Restaurant, weil es Abfall vermeidet oder weil es lecker schmeckt?
Abfallvermeidung gehört doch zum Grundhandwerkszeug eines jeden Küchenchefs?
Absolut! Einfach zu begreifen, dass das, was du machst, ein Kreislauf ist. Du nimmst etwas aus der Natur, du gibst es den Menschen und du gibst trotzdem auch wieder etwas zurück. One-way funktioniert einfach nicht.
Hier im Restaurant Tim Raue läuft es nun mit Infarm. Kannst du dir vorstellen, das System auch in anderen Restaurants wie den Colettes einzurichten?
Das ist der nächste Schritt. Der erste war, dass wir es erstmal da ausprobieren, wo wir die größtmögliche Kontrolle darüber haben. Dann ist es eine räumliche Sache. Sylt, also das Spices oder St. Moritz eignen sich perfekt dafür. Da haben wir Platz und Räume. In St. Moritz, im The K. haben wir das große Problem der Wintersaison, das heißt, da gibt es draußen gar nichts, da muss alles rangeschafft werden. Auf Sylt haben wir tatsächlich sehr viel Räumlichkeiten zur Verfügung. Da werden wir das mit Sicherheit als Nächstes installieren. Die Colettes sind eher auf kleinem Raum und daher nicht ganz so gut geeignet.
Wird es Tim Raue in Berlin seltener geben? Der Vertrag mit Sra Bua läuft aus.
Wir haben in der Schweiz ein neues Team aufgebaut, was sehr gut funktioniert. Aber der Kernmarkt wird weiterhin Berlin bleiben. Und die nächsten Projekte werden dann in Berlin bzw. im Umland stattfinden.
Was ist mit der Bötzow-Brauerei, die demnächst wieder eröffnen soll?
Allerdings ohne mich. Es gibt seit über anderthalb Jahren keine Kommunikation mehr. Wir werden das La Soupe Populaire als kulinarisches Gesamtkonzept auf jeden Fall wieder aufmachen ...
Die Stadt scheint darauf zu warten.
Ich hoffe, dass wir es nächstes Frühjahr hinkriegen. Es ist ein etwas größeres und umfangreicheres Projekt.
Ich dachte, du wolltest das La Soupe Populaire im Soho-House machen?
Haben wir ja. Michael Jäger (Küchenchef des ehemaligen Soupe Populaire. d. Red.) ist Küchendirektor für das ganze Haus. Und im November, Dezember, Januar haben wir das La Soupe Populaire in der 8. Etage wieder belebt – für Members only. Und demnächst starten wir mit dem California Beach Club. Wir machen so eine Art Pop-up, wo wir alle zwei, drei Monate das Thema wechseln. Das Restaurant nach dem Konzept La Soupe Populaire kommt erst noch. Es wird aber auch nicht La Soupe Populaire heißen, denn die Namensrechte liegen bei Bötzow, aber das, was wir dort gemacht haben, habe ich ja kreiert und mit Leben gefüllt und das kommt definitiv wieder.
Hast du etwas in Brandenburg vor?
Ja, im Frühjahr 2019, das ist im Bau, das dauert. Ich bin der Meinung, dass der Trend dahin geht, dass die Städter oder die, die zugezogen sind, aus der Stadt rauswollen, am besten freitags weg und das Wochenende in einer Countryside-Destination verbringen. Und das haben wir jetzt gefunden. Es ist eine wunderschöne alte Villa, traumhaft.
Und dann gibt es ja auch noch die vier Schiffe.
Ja, wir haben seit letztem Sommer Hanami by Tim Raue auf Mein Schiff 3, 4, 5 und 6 realisiert. Und das macht richtig viel Spaß. (Klopft auf Holz.)
Ist es nicht langsam auch mal genug?
Ja, es ist ja auch wichtig zu wissen, was geht, was geht nicht. Sylt funktioniert wunderbar, mal gucken, ob das konstant so bleibt. St. Moritz haben wir uns auch eine Saison lang angeguckt, da haben wir alle gesehen: läuft super, macht Spaß, also machen wir es jetzt die nächsten Jahre. Das fixe Standbein ist Berlin. Das funktioniert wahnsinnig gut. Und Marie und ich werden demnächst, im Gegensatz zum Reinstoff, den Mietvertrag noch mal um zehn, fünfzehn Jahre verlängern. Ob das dann konzeptionell immer so bleibt, werden wir sehen. Ich versuche ja immer daran zu denken, es zu optimieren, es besser zu machen. Auch da haben wir schon wieder für den Spätsommer oder Herbst an ein paar Stellschrauben gedreht. Wir wissen, dass wir in der Fifty-Best-Liste bleiben. Das ist für uns einfach eine Mördernummer, weil wir dadurch wissen, dass wir noch ein Jahr haben, wo wir jeden Tag Gäste aus aller Welt haben. Mehr kann man sich einfach nicht wünschen.
Was macht die Filmkarriere, du bist ja ständig präsent?
Nö, bin ich gar nicht. Ich mache auf Vox hin und wieder was. Wir haben dieses neue Format „Knife Fight Club“, wir schauen mal, wo die Reise hingeht. Ich bin so dankbar für alles, was kam, was sich entwickelt hat. Manches kann man vorhersehen, manches tut sehr weh, aber auf der anderen Seite ist alles richtig, alles ist gut. Marie und ich sind fine. Und mein Privatleben ist mein Privatleben, da spreche ich nicht drüber.
Restaurant Tim Raue
Rudi-Dutschke-Straße 26, Kreuzberg,