Fotos: Belek Wunderlich Aufmacher Claudia Banz
Claudia Banz

„Es gibt nicht nur ein Entweder-oder“

Claudia Banz ist die Kuratorin von Food Revolution 5.0. Was Ernährung in der Zukunft alles sein kann und wie Designer die Vorstellungskraft erweitern können, das erklärt sie in einem Gespräch auf der essbaren Terrasse

Interview: Eva-Maria Hilker • Fotos: Belek Wunderlich

Sie sind Kuratorin und Berlinerin?
Dr. Claudia Banz: Nein, Wahlberlinerin. Ich stamme aus Süddeutschland.

Wie alle guten Berliner eigentlich, oder?
(lacht) Aber ich komme nicht aus Schwaben.

Die Ausstellung, die Sie aktuell im Kunstgewerbemuseum zeigen, hatte schon mal eine Station in Hamburg.
Das war ziemlich genau vor einem Jahr. Ich habe in Hamburg, am Museum für Kunst und Gewerbe gearbeitet und bin dann nach Berlin gewechselt. Ich habe die Ausstellung mitgebracht und für Berlin um mehrere Projekte erweitert.

Der Bau im Arrangement des Kulturforums stellt auch eine Herausforderung dar?
Das Besondere ist, dass wir auch den Außenraum bespielen können. Und das ist bei so einem Thema wie Food und auch für das Thema Ernährung und Stadt sehr wichtig. Ich bin mit Designer Ton Matton – er ist eigentlich Stadtplaner in erster Linie und unterrichtet Raumstrategien in Linz – über die Piazzetta gegangen und da wurde klar, dass wir auf dieser Fläche etwas machen müssen. Seine Idee war das Projekt der urbanen Streuobstwiese. Diese Art Wiese hat eine Doppelfunktion. Zum einen geht es im Kontext der Ausstellung um dieses Thema Natur, Ernährung, Stadt, öffentlicher Raum und wie kann man den nutzen. Zum anderen hängen die Apfelbäume am Tropf, das ist also als Hinweis auf das gestörte Verhältnis von Mensch und Natur zu verstehen.

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Der erste Eindruck von der Ausstellung vermittelt eine große Bandbreite. Auf der einen Seite subtile Provokation, auf der anderen realistische Zukunftsvision – das ist dramaturgisch gewollt?
Ja, genau. Ich möchte dabei betonen, dass „Food Revolution 5.0“ eine Designausstellung ist und keine Kunstausstellung. Wir sind ein Designmuseum und dabei, auch wenn es spekulativ ist, geht es um Lösungsansätze. Also um das tatsächlich Angewandte. Aber, wie Sie schon sagten, die Ausstellung oszilliert zwischen den Best-Practice-Beispielen – auch im Hier und Jetzt, weil da gibt es ja auch schon viele spannende Ansätze – und spekulativem Design, wo es wirklich um das Vorstellen oder Imaginieren möglicher Zukünfte geht.

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Gleich im Eingangsbereich sieht man Torsi mit Schläuchen um den Kopf, ein paar Schritte weiter trifft der Besucher auf einen Oberkörper, wo ein Miniaturherz draufsitzt. Sind das Zukunftsvisionen, wie man ohne Landwirtschaft leben kann?
Das große Thema bei der Ernährung ist ja die Landwirtschaft, auch die industrielle Landwirtschaft, Stichwort Klimawandel, Stichwort Ressourcen-Knappheit, da gibt es ganz enge Zusammenhänge. Und deshalb überlegen natürlich viele Designer, wie könnte denn die Zukunft aussehen, losgelöst von – ganz salopp gesagt – Ackerbau und Viehzucht. Wenn es mal keine Ressourcen mehr gibt, wovon sollen wir uns dann ernähren? Dieses eine Projekt, die Algenmaske, ist vom englischen Designerduo Burton Nitta, von Michael Burton und Michiko Nitta. Das Projekt heißt „Algaculture“ und es geht darum, dass wir uns eigentlich evolutionär verändern sollten und müssten. Der Mensch wird zu einem osmotischen Wesen, der die Algen ernährt und die Algen uns wiederum ernähren. Deshalb tragen wir die Apparatur auch direkt am Kopf als Maske, weil wir durch unsere Atmung CO2 produzieren, was die Algen füttert, die Algen wandeln das in Sauerstoff und und bieten uns die Nahrung.

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Was hat es mit dem herzähnlichen Apparat auf sich?
Das ist von Chloé Rutzerveld mit dem Titel „In Vitro Me“. Dabei geht es um das vieldiskutierte Thema In-vitro-Fleisch. Chloé Rutzerveld kommt aus den Niederlanden und da gibt es Mark Post, das ist der In-vitro-Fleisch-Forscher. Es ist eigentlich sehr einfach, aber sehr teuer, Stammzellen zu isolieren und daraus dann Fleisch wachsen zu lassen. Und ihr Ansatz ist auch der Kreislaufgedanke, dass der Mensch zur eigenen Farm wird. Er trägt eine Art Amulett auf der Brust, das an den Blutkreislauf angeschlossen ist. In dem Amulett ist eine Stammzelle aus seinem Körper und durch den Blutkreislauf erhält diese Stammzelle Nahrung und wir züchten am Körper unser eigenes Fleisch.

Wie sehen Sie diese Zukunfsvisionen? Manche Objekte schaffen auf subtile Weise Unbehagen, machen aber gleichzeitig auch neugierig.
Wenn man sich auf die Arbeiten einlässt, sprechen die schon auch eine subtile kritische Sprache. Hoffe ich zumindest. Und ich hoffe auch, dass die Ausstellung bei den Besuchern und Betrachtern etwas zum Klingen bringt. Die Idee ist, mit der Ausstellung das Bewusstsein zu schärfen. Wir reden zwar viel über Essen und es gehört zum Lifestyle. Aber was immer in den Hintergrund gedrängt wird und darauf kommt es bei der Ausstellung an: Revolution ist zwar ein großes Wort, aber wir als Konsumenten können viel entscheiden und an einer Revolution mitwirken.
Da ist z.B. das große Thema Lebensmittelverschwendung. Und wenn man sich die ganzen Statistiken anschaut – egal was man von Statistiken hält – zeigt es sich, dass prozentual der größte Anteil der Lebensmittelverschwendung im privaten Haushalt stattfindet, auch bei den Produzenten, aber in der westlichen Welt tatsächlich im privaten Haushalt. In den Entwicklungsländern, wo ja auch viel produziert wird, da findet die Verschwendung schon am Anfang der Kette statt, bei der Ressource, bei der Weiterverarbeitung, aufgrund der fehlenden technischen Hilfsmittel.
Oder das Thema Fleisch. Es ist in aller Munde, und schon gibt es die Schwarz-Weiß-Malerei und ihre Lager. Und vegan ist auch nicht die Lösung, denn es weiß inzwischen wohl jeder: Soja ist auch böse!

Und die Ersatzstoffe als Geschmacksträger sind auch nicht wirklich lustig!
Es gibt nicht nur Entweder-oder. Ich wurde ja auch schon gefragt: Essen Sie noch Fleisch? Ja, ich esse Fleisch. Aber es geht auch um bewussten Konsum. Das sind alles so Dinge, die ich mit der Ausstellung antriggern möchte – nicht mit der schweren Moralkeule, denn ich glaube, der Mensch lernt dann am besten, wenn man es gut verpackt.

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Ist es so, dass Sie das Bewusstsein schärfen wollen für das, was es wirklich noch an Ressourcen gibt?
Ja, ein Beispiel ist die sogenannte „essbare Terrasse“. Hier werden heimische Pflanzen, Kräuter und Gemüse angebaut. Da geht es auch um den Wachstumsprozess als solchen. Ich glaube, jeder Städter, der sich zum ersten Mal die Mühe macht, zum Beispiel Tomatensamen auszustreuen und dann den Wachstumsprozess beobachtet, begreift die Zeit und Mühe. Das verändert den Blick, wenn er in den Supermarkt geht, wo alles einfach im Angebot ist. Dann werden die Lebensmittel von weit her gekarrt und reifen in den Transport-Containern noch weiter. Dabei stellt sich die Frage: Was haben wir überhaupt für Ressourcen verfügbar und wie können wir in unseren Breitengraden damit sinnvoll umgehen?

Wir haben vorhin über Zukunft geredet. Mal provokant gefragt: Wäre es nicht die Lösung, wenn die Chemiekonzerne Tabletten erfinden würden, die unsere Ernährung abdecken?
Das ist eine berechtigte Frage. Da gibt es auch einige Arbeiten von Designern, die in diese Richtung gehen. Zum Beispiel Digital Food von Martí Guixé, der sozusagen der Godfather des Food-Designs ist. Er hat sich in den 80er Jahren schon damit beschäftigt und auseinandergesetzt, als noch niemand darüber nachgedacht hat. Da geht es um das Stichwort Daten. Über uns zirkulieren jede Menge Daten – auch ein brandaktuelles Thema – und auch Gesundheitsdaten. Und Guixé sagt: Warum nehmen wir nicht einfach diese Daten, die eh schon zirkulieren, und nutzen sie, um für unseren Körper maßgeschneiderte Nahrung zu drucken? Das ist natürlich erstmal hypothetisch. Es ist der Mix zwischen den persönlichen Daten und Open-Source-Daten. Und wenn ich Bedarf habe, schicke ich das zum 3-D-Drucker und dann druckt der mir das auf meine persönlichen Befindlichkeiten zugeschneiderte Essen.

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In Form und Inhalt?
Es gibt verschiedene Formen, das ist ganz schön, sieht auch sehr ästhetisch aus. Sie sehen so aus wie bunte Bauklötzchen. Man kann sich auch Menüs zusammenstellen, also zum Beispiel ein beruhigendes oder ein Power-Menü. Oder eine andere Arbeit, die heißt „Bioplastic Fantastic“, da geht es auch um die Kombination mit synthetischer Biologie und Nanotechnologie. Das hat noch den interessanten Zusatz, dass es auch darum geht, uns selbst, den Menschen, evolutionär so zu verändern, dass wir zukünftig in der Lage sein werden, Dinge zu essen, die wir bisher noch gar nicht essen können.

Geht es dabei um Insekten? Ich glaube, ich muss mich dazu tatsächlich evolutionär verändern.
(lacht) Nein, dazu brauchen wir uns ja noch nicht evolutionär zu verändern. Das schmeckt total gut. Essen Sie Garnelen?

Sehr gerne!
Na hallo, das ist genau dasselbe! Und bei Garnelen haben Sie auch noch diesen kleinen Darm ...

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Zurück zu Bioplastic Fantastic.
Das ist die Kombination, dass Kunststoffe durch bestimmte Enzyme und Bakterien zersetzt werden und durch Zusatz von neuen Bakterien neue Nahrungsmittel entstehen, die aber auch ästhetisch sehr gut aussehen. Und da sind wir dann auch wieder beim Design. Man überzeugt die Menschen am ehesten über die Ästhetik. Und diese neuen Nahrungsmittel enthalten dann auch alle möglichen Nährstoffe, die wir brauchen. Und es gibt noch eine Sache. Da gibt es eine sehr schöne Arbeit, die ist jetzt neu in Berlin, von The Center for Genomic Gastronomy, „To Flavour our Tears“. Da geht es darum, dass der Mensch sich und seinen Körper doch bitte durch seine Nahrungsaufnahme so gut pflegen möge, dass er sich am Ende in den natürlichen Nahrungszyklus selbst wieder einspeisen kann.

Sie wollen jetzt nicht auf die Vison hinaus, dass wir uns mal selbst verspeisen?
Wir sind ja keine Kannibalen. Aber in der Natur ist es ja so: fressen und gefressen werden. Und als eine spekulative Variante für die Zukunft: Wenn wir tot sind, könnten wir doch den Körper wieder in den Nahrungskreislauf zurückgeben.

Food Revolution 5.0 – Gestaltung für die Gesellschaft von morgen
18. Mai bis 30. September 2018, Kulturforum, Kunstgewerbemuseum, Matthäikirchplatz, Tiergarten, Tel. 030 266 42 42 42, www.smb.museum, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa+So 11-18 Uhr