Fotos: Kira Möller Aufmacher Frank und Leitner
Frank und Leitner

„Wir sind eine Destination!“

Vor rund sieben Jahren hat sich René Frank gemeinsam mit Oliver Bischoff seinen Traum erfüllt: eine experimentelle Patisserie – für jede*n erschwinglich. Es war die erste Dessert-Bar Berlins. Heute heißt es im Coda Fine Dining und das Restaurant ist weltweit angesagt. Zwei Sterne und die Prämierung bei den 50 Best trugen zur Bekanntheit bei. Ein Gespräch mit Küchenchefin Julia Leitner und Sternekoch und Patron René Frank über Weiter­entwicklungen und Erfolg

Interview: Eva-Maria Hilker • Fotos: Kira Möller

Die wirtschaftliche Lage ist herausfordernd. Bei euch hat man den Eindruck, es geht steil bergauf. Eine Prämierung nach der anderen, eine Anerkennung nach der anderen und nun auch die Nominierung als Berliner Meisterköche. Was bedeutet das für euch?
René Frank: Es gehört in unserer Branche dazu. Es ist Motivation und Bestätigung für uns und die Mitarbeiter*innen. Ich bin nicht gerade jemand, der gut ist im Loben. Für das Team ist es wichtig zu erleben, dass das, was sie jeden Tag tun, Anerkennung von außen findet. Für mich ist es wichtig zu erleben, dass das, was ich tue und für die Küche vorlebe, Früchte trägt. Es ist ein Zeichen, dass der Weg, den wir eingeschlagen haben, richtig ist.

Zu Anfang war deine Philosophie eine andere.
René Frank: Meine Intention war, Fine Dining runterzubrechen, für jeden zugänglich zu machen. Michelin-Sterne waren nicht unser Ziel. Wir haben uns das offen gelassen. Mein Geschäftspartner Oliver Bischoff, Julia und ein Mitarbeiter im Service – das war die Anfangscrew. Julia und ich – wir waren zu zweit in der Küche.

Du hast dich abends ein Stück weit aus der Küche zurückgezogen. Wie sieht heute dein Arbeitstag aus?
René Frank: Mein Tag hat auch nur 24 Stunden. Von denen versuche ich acht zu schlafen und irgendwo noch ein kleines bisschen Privatleben zu haben. Hauptsächlich arbeite ich tagsüber und bin abends im Restaurant und begrüße die Gäste. Ich will mich weiterentwickeln und deswegen mache ich das, was ich kann. Das ist Kontrolle und Konzeption der Neuausrichtung. Die Weiterentwicklung passiert tagsüber mit den Mitarbeitenden. Auch für Julia, die mittlerweile seit sieben Jahren mit dabei ist, war von Anfang an klar, dass sie sich weiterentwickeln will und so mehr und mehr in den Vordergrund getreten ist.


„Alles hat ein System, eine Ordnung – hinter jeder Farbe auf dem Bon Sheet steckt eine Botschaft.“
Julia Leitner

Wie ein Bienenschwarm, der um die Königin schwirrt – so kann man das Bild beschreiben, das sich abends im Restaurant bietet. Am Pass vor dir liegt eine Art Bon Sheet mit verschiedenen farbigen Markierungen. Du kontrollierst die Abläufe ungeheuer präzise.
Julia Leitner: Das stimmt schon ein bisschen. Küche und Service müssen koordiniert werden. Der Service hat kein Backoffice, keine eigene Station, wo geregelt wird, wer welches Essen bekommt und welche Getränke, welches Wasser dazu getrunken wird. Das koordiniere ich, dass alles gleichzeitig an den Tisch kommt. Alles hat ein System, eine Ordnung – hinter jeder Farbe auf dem Bon Sheet steckt eine Botschaft.
René Frank: Präzision hat etwas mit Perfektion zu tun und umgekehrt: Perfektion bedeutet präzises Arbeiten. Perfektion ganzheitlich gesehen bedeutet nicht nur den besten Teller zu kreieren, es bedeutet, dass es den Mitarbeiter*innen gut geht, den Lieferant*innen und dass der Gast happy ist – es ist ein ganzheitliches System.

Frank und Leitner 1

Wie stellt ihr euer Team zusammen? Legt ihr auf etwas besonderen Wert?
Julia Leitner: Wir machen das gemeinsam. Es kommen die Bewerbungen rein, dann führe ich die erste Kommunikation mit ihnen, danach findet das erste Vorstellungsgespräch statt und es folgt das Probearbeiten. Letztendlich entscheidet das ganze Team. Wir müssen schließlich mit ihr oder ihm zusammen arbeiten.
René Frank: Heute besteht das Team aus 15 Mitarbeiter*innen. Dadurch sind wir vor allen Dingen stabil und zuverlässig in unserer Qualität. Krankheit und Urlaub sind lösbare Herausforderungen in der Planung. Wenn man ein größeres Team hat, kann man so die Aufgaben besser verteilen. Die Gäste sehen und spüren sofort, dass ein entspannter Teamgeist besteht, und dass ihnen das Spaß macht, was sie tun!

Was sind die Grundvoraus­setzungen? Es hört sich so an, als ob man eine akademische Vorbildung besitzen muss.
Julia Leitner: Es gibt auch Einsteiger, die bei uns arbeiten. Aber die meisten im Küchen-Team haben bereits eine klassische Ausbildung absolviert. Das ist der Grundstein. Im Coda machen wir alles etwas anders. Wir werfen viele Regeln über den Haufen. Ob die jetzt Abitur haben oder nicht? Das ist erst mal egal. Wichtig ist, ob sie Bock dazu haben, was wir machen.

Was ist so typisch anders im Coda im Vergleich zu anderen Küchen?
Julia Leitner: Es ist die ganze Struktur. Für viele ist das eine Umstellung. Es gibt keine klassischen Posten, es gibt Aufgabenbereiche. Und eigentlich sind alle Patissiers oder arbeiten abwechselnd als Gardemanger. Das Team produziert gemeinsam die Menüs. Manchmal entwickeln zwei gemeinsam ein Gericht.

Wie kommt ihr zu den Gerichten? Wie entwickelt ihr das Menü?
Julia Leitner: Grundsätzlich lassen wir uns von allem inspirieren. Die wichtigste Inspiration ist aber immer noch das Feedback vom Gast. Die Dramaturgie des Menüs wird dann im Team besprochen. Muss das, was der erste Gang sein soll, vielleicht frischer und fruchtiger sein oder eher etwas herzhafter? Man hat meistens nur zwei Produkte, mit denen man anfängt und ein erstes Gericht daraus entwickelt. René arbeitet immer mit einem/r Mitarbeiter*in aus dem Team zusammen, um an neuen Kreationen zu tüfteln.

Was hat sich in den letzten sieben Jahren grundsätzlich geändert?
René Frank: Wir haben eine klare Definition, mit was wir arbeiten. Das war am Anfang noch relativ offen. Heute arbeiten wir nicht mehr mit weißem Zucker, wie zu Beginn. Wir lassen die klassischen industriell verarbeiteten Produkte komplett weg. Wir haben die ganzen Pülverchen, Stabilisatoren, vorgefertigten Produkte wie gefrorenes Fruchtmousse rausgenommen. Es war ein radikaler Schnitt. Denn eigentlich gibt es wenig natürliche Produkte in der Patisserie. Jedes Produkt, sei es ein Kakaopulver oder eine Schokolade, ist irgendwo industriell verarbeitet worden.

Dieser radikale Schnitt bedeutet einen hohen Arbeitsaufwand.
René Frank: Das hatte dann auch weitere Konsequenzen zur Folge. Anfangs hatten wir verschiedene Menüs im Angebot, die Gäste konnten drei oder fünf Gänge oder das Acht-Gänge-Menü ordern. Es war nicht mehr zu überblicken, in der Küche nicht zu strukturieren. Und es gab zwei Seatings. Aber es hat uns niemand so richtig als Restaurant wahrgenommen.

In Deutschland ist Dessert Dining kein geläufiger Begriff. Viele sind entweder vorher oder nachher noch um die Ecke im Imbiss essen gegangen.
René Frank: Das war tatsächlich so. Als wir anfingen, haben wir – wenn überhaupt – nur davon geträumt, dass wir irgendwann ein großes Menü servieren werden. Das hat sich Stück für Stück in diese Richtung entwickelt. Wir wollten aber aufgrund unseres Qualitätsanspruchs als Restaurant wahrgenommen werden. Wir haben unsere Menüs erweitert, ab 19 Uhr gab es dann das Sechs-Gänge-Menü, später konnten sich die Gäste die Zahl der Gänge aussuchen. Das ließ sich nicht mehr so koordinieren. 2019 kam dann die Wende, mit dem ersten Stern hat sich fast alles verändert.

Frank und Leitner 2

Ist es nicht auch ein großer Druck? Wenn z.B. Gäste kommen und überprüfen wollen, ob die Sterne, die Auszeichnungen gerechtfertigt sind?
René Frank: Ob andere Gäste gekommen sind oder ob uns welche irgendwie geschadet haben? Überhaupt nicht. Der Stern hat uns überlebensfähig gemacht. Wir konnten endlich kalkulieren, wir wussten, was am Abend passiert. Wie viele Gäste kommen, die dann das große Menü genießen wollen.
Julia Leitner: Und auch die Gäste haben endlich gemerkt, dass wir als Restaurant funktionieren. Wir haben dann 2020 den zweiten Stern bekommen.

Das große Menü umfasst heute 15 oder 16 Gänge bzw. kleine feinste Gerichte.
René Frank: Wir hatten zuerst ein Sieben-Gänge-Menü, und im zweiten Seating war das offen. Da konnten die Gäste auch mit drei und vier Gängen vorlieb nehmen. Später haben wir im zweiten Seating fünf Gänge angeboten. Irgendwann haben wir das zweite Seating abgeschafft. Sieben Gänge, fünf Gänge – es war kein Raum mehr, irgendwie was mehr zu bieten oder dem Gast mehr Zeit zu geben. Deswegen haben wir gesagt, entweder ziehen wir jetzt um, machen einen größeren Laden, oder wir bleiben hier und verkleinern die Gästeanzahl und maximieren die Experience.

Experience, das heißt, wenn man zu euch kommt, ist es wie eine Performance, ein kulinarisches Erlebnis?
René Frank: Genau, das hätten wir schon vor zwei Jahren machen sollen.
Julia Leitner: Es ist einfach schön, wenn Gäste kommen, die schon öfter da waren und die jetzt zur Umstellung wieder da sind, und uns sagen, dass wir alles richtig gemacht haben. Dass es diese Entwicklung und Umstellung gebraucht hat.


„Wir glauben fest an unser Modell. Unsere Küche kommt praktisch ohne Fisch und Fleisch aus.“
René Frank

Der Erfolg zeigt also, dass ihr alles richtig gemacht habt.
René Frank: Was ist die Definition von Erfolg in der Gastronomie? Wenn man selbst viel Geld verdient und alle anderen ausbeutet? Das ist es nicht für uns. Mit Qualitätsansprüchen, mit einer Philosophie zu starten, das zu erreichen, sich dann weiterzuentwickeln, gleichzeitig Mitarbeiter*innen inspirieren zu können, die auch deshalb lange mit uns arbeiten, die wachsen, sich weiterentwickeln – das, finde ich, ist erfolgreich. Trotzdem kämpfen wir in diesen Zeiten wie alle anderen auch mit den Herausforderungen. Doch wir glauben fest an unser Modell.Unsere Küche kommt praktisch ohne Fisch und Fleisch aus.

Noch mal zu Prämierungen. René, du wurdest bei den 50 Best als „World’s Best Pastry Chef 2022“ ausgezeichnet. Hat das noch mal internationale Gäste angezogen?
Julia Leitner: Wir hatten schon immer internationale Gäste. Nach Corona hat sich das auch wieder gezeigt …
René Frank: Die Auszeichnung von 50 Best bedeutet, dass du ein sehr besonderes Restaurant bist, und das ist das, was die Community von 50 Best sucht. Und das ist das Gute, dass diese Gäste zu uns kommen. Der klassische Gast, der in ein Zwei-Sterne-Restaurant geht, erwartet viel Platz, hierarchisch organisierten Service, vielleicht auch eine weiße Tischdecke, der macht sich schick. Bei uns kann man sich auch schick anziehen, aber muss nicht. Sie kommen eher wegen des Konzepts.

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Ist Neukölln immer noch der richtige Ort?
Beide: Ja!
René Frank: Es hat uns in den letzten Jahren Vorteile gebracht. An diesem Standort zahlt man keine extreme Miete. Das ist auch von außen sichtbar. Wir sind eine Destination. Egal, wo wir sind, man geht gezielt zu uns. Ganz am Anfang gab es noch Walk-ins. Das funktioniert nicht mehr. Ein Konzept lebt davon, dass man sich damit gezielt auseinandersetzt und reserviert.

Bei einem früheren Interview hast du mir erklärt, dass du auch sehr viel Wert auf die umliegenden Produzenten legst. Gibt’s überhaupt noch eine Chance mit dem Konzept, was ihr jetzt gerade habt?
René Frank: Das hat sich ausgeweitet auf ganz Berlin und auf das Umland.
Julia Leitner: Es gibt nach wie vor gute Läden, wie zum Beispiel 100 Pct., die bestes Olivenöl aus Griechenland importieren. Oder die Markthalle Neun, mit denen wir zusammenarbeiten.

Ihr beiden macht einen unglaublich harmonischen Eindruck. Gibt es auch mal Meinungs­verschiedenheiten?
Julia Leitner: Klar gibt es Differenzen. Aber wir sind beide nicht die Persönlichkeiten, die unbedingt Streit suchen. Wir sprechen uns eher ruhig aus. Wir können über alles reden.
René Frank: Für uns ist eine gute Zusammenarbeit und gegenseitiger Respekt sehr wichtig. Es ist ein großes Vertrauen da und Verlass darauf, dass wir uns gegenseitig den Rücken freihalten.

Coda Dessert Dining
Friedelstraße 47, Neukölln, Tel. 030 91 49 63 96, www.coda-berlin.com, Di-Sa ab 19 Uhr