Fotos: Michael Hughes Aufmacher Ungeheuer Neukölln
Ungeheuer Neukölln

Kein Monster

Im Restaurant Ungeheuer macht sich der neue Küchenchef Marco Lusetti mit frischen Ideen ans Werk

Das Restaurant Ungeheuer ist im tiefsten Neukölln zuhause, ein Ladenlokal, das perfekt in die Gegend passt und nicht nur von draußen aussieht wie stehen geblieben in den 80er / 90er Jahren: Um betagte Holztische haben die Besitzer ein buntes Sammelsurium an Stühlen aus dem vergangenen Jahrhundert versammelt, an den Wänden hängen Malereien mit düsteren Landschaften und um zwei von der Decke baumelnde Glühbirne windet sich Geäst, das bei Medizinstudenten auch Assoziationen an ein Geflecht von weitverzweigten Äderchen auslösen könnte.

Parallel zur Fensterfront steht quer im Raum ein Tresen aus dunklem Holz, davor ein paar Tische, dahinter ein Regal bestückt mit allem, was in eine gut sortierte Bar gehört. Vintage-Style nennt man das in der Bloggerszene, für uns war es einfach gemütlich. Man sitzt hier wie am Wohnzimmertisch bei Freunden, mit denen man den Abend bei gutem Essen und Trinken und angeregten Gesprächen verbringt.

Das Ungeheuer existiert bereits ein paar Jahre im Körnerkiez. Nach wie vor wird hier bis in den Nachmittag hinein ein üppiges Frühstück serviert, mit viel Schinken und Käse, mit Chorizo, Pecorino und Scamorza, mit Eiern und Joghurt, Marmelade und Honig. Wie in den meisten Frühstückslokalen in den Szenevierteln kommen auch hier Vegetarier und Veganer auf ihre Kosten. Am Nachmittag kann man Kaffee und Kuchen bestellen und am Wochenende trifft sich im Ungeheuer das coole Neukölln, um bei Cocktails und guter Musik abzuhängen; der Barkeeper versteht sein Geschäft, er hat vorher im Soho House gemixt und geschüttelt.

Ungeheuer Neukölln 1

Ein echter Gewinn für das Ungeheuer aber ist Küchenchef Marco Lusetti, der Anfang des Jahres mit dem Anspruch angetreten ist, das Ungeheuer in den Focus der Fine Dining-Community zu rücken. Das Wissen um die Finessen der feinen Küche hat er sich u.a. bei Zwei-Sternekoch Antonino Cannavacciuolo in der Villa Crespi in Italien geholt, im Cinco bei Sternekoch Paco Perez oder im Bocca di Bacco in Mitte. Der Start in den Abend verläuft schon mal erfreulich: Im Glas servierter Parmesan Espuma mit Parmesan Crumble, milder, softer Schaum mit porösen Krümeln, deren konträre Konsistenzen sich im Mund zu einem vielversprechenden Willkommensgruß aus der Küche vereinen. Die Karte ist übersichtlich: drei Starter, drei Zwischengänge und zwei Hauptgerichte – einmal Fisch, einmal Fleisch, so dass man zu Zweit fast alles probieren kann.

Wir starten mit Wildkräutersalat mit karamellisiertem Ziegenkäse. So steht es auf der Karte. Tatsächlich aber hielten sich die Wildkräuter versteckt unter Rucola und dünnen Möhrenstreifen, aber das war wohl eher der Jahreszeit geschuldet, als dem guten Willen des Kochs. Der frische Salat war mit einer säuerlich-senfigen Vinaigrette wohl abgeschmeckt und bildete eine gute Ergänzung zum süßlich karamellisierten Ziegenkäse. Rosé im Kern kam als weitere Vorspeise die Barbarie-Entenbrust auf den Tisch, zu der Marco Lusetti Steinpilze, Granatapfel und Kerbel servierte. Man spürt förmlich den Wald auf der Zunge, das herb-säuerliche Aroma des Granatapfels bildet einen guten Kontrast zum eher dumpfen Geschmack der Entenbrust, bevor einen die aromatischen Steinpilze wieder erden.

Zum Hauptgang gab es Fleisch und Fisch. Das Rinderfilet, bei unserem Besuch mit Steinpilzen auf einem Spiegel aromatisch-reduzierter Rotwein Sauce serviert, war perfekt rare gegart, zart-mürbe auf der Zunge und fast metallisch im Mund, es ließ keine Wünsche offen. Was man vom Red Snapper leider nicht sagen kann. Ich hätte ihn mir mehr natürlich, weniger eingepackt in Pannade gewünscht, von der übersauren Zitrone ganz zu schweigen, die eher Last als Lust bei diesem Gang war. Der Fisch selbst aber war fein gegart und fiel förmlich von der Gabel. Dazu gab es groben, in rote Zwiebel verpackten Kartoffelstampf. Die große Ähnlichkeit mit dem Kartoffelstampf, der das Steak begleitet hatte, übersehen wir einfach mal. Denn wer will hier meckern bei Preisen zwischen 12 und 27 Euro und einer sehr viel versprechenden Küche. Marco Lusetti ist auf dem richtigen Weg. Wenn er von seinen Chefs so viel Zeit wie kreativen Freiraum bekommt, wird noch etwas ganz Wunderbares aus dem Ungeheuer werden. Ein Besuch lohnt sich schon heute. Wir kommen auf jeden Fall wieder. (Marion Hughes)

Ungeheuer Neukölln
Emser Straße 23, Neukölln, Tel. 030 62 73 22 04, www.ungeheuer-neukoelln.de, Frühstück ab 10,50 €, Dinner 6,50 € bis 27 €, Cocktails ab 7,50 €, tgl. ab 10 Uhr, Abendkarte ab 18 Uhr