Chef-Sommelière Marie Weskott und Sophie von Richthofen in der Nomi Weinbar, Foto: Kira Möller Aufmacher Nomi Weinbar
Berlins Weinbars

Zeitgemäße Trinkkultur: Natürlich Wein!

Fast wöchentlich flattert mindestens eine Mitteilung in die Redaktion, dass eine neue Weinbar eröffnet hat, sich eine Restaurant- oder Weinhandel-Fachkraft selbstständig gemacht hat oder dass Quereinsteiger*innen erstaunlich gute Weine produzieren. Die Weinbar als das Erfolgsmodell? Eva-Maria Hilker plauderte mit Expert*innen über Anbaugebiete, Rebsorten, und was an Speisen zu dem entsprechenden Wein passt. Die Ansprüche an gute, vor allen Dingen nachhaltig produzierte Weine sind geblieben – und mittlerweile gehört Naturwein zum Standardrepertoire

Eine ganz wunderbare Entwicklung ist, dass sich Weinkenntnis als Herrschaftswissen vollkommen erledigt hat. Jede Frage, jede Unsicherheit wird freundlich zur Kenntnis genommen und mit viel Kompetenz und Engagement beantwortet. Man kann aber auch ohne Storytelling ein Glas Wein genießen.


Low Intervention Wine

Jüngstes Beispiel ist das gerade vor ein paar Wochen eröffnete Sacrebleu!. Und wieder mal ist es Neukölln. In diesem Bezirk häufen sich weiterhin die Adressen von innovativen Konzepten und Neueröffnungen. Zum Namen Sacrebleu!: Die Doppeldeutigkeit dieses Fluchs ist bereits beim Eintreten offensichtlich. Herrschen ein paar Meter weiter, auf der Hermannstraße, noch herbe Umgangsformen, geht es in der Weinbar elegant und stilvoll zu. Ein angenehmes dunkles Blau an den Wänden, Marmortische, mal hoch mit Barstühlen auf der einen Seite, mal klassisch auf der anderen. Die Bar vorne im Eingangsbereich ist überraschend offen gestaltet. Was durchaus dem Naturell von Gastgeber Alexandre Fleck entspricht. Der Weinkenner hat einige Stationen in Berlin hinter sich, er arbeitete im Sterne-Restaurant Cordo, beim Fish Klub und zuletzt bei Treat. Alles Stationen, die in Sachen Wein die jüngsten Entwicklungen ins Auge fassen.

Alexandre Fleck Alexandre Fleck
Ahmed Omer Ahmed Ahmed Omer Ahmed

Eine Unterhaltung mit dem gebürtigen Franzosen, Paris ist seine Heimatstadt, macht nicht nur Spaß. Es weitet auch den Horizont, was Naturweine und den Hype darum betrifft. Er favorisiert den Begriff „Low Intervention Wine“. Dabei geht es darum, den Wein mit so wenig Eingriffen und Hilfsmitteln so gut wie möglich in die Flasche zu bekommen. Das umfasst selbstverständlich auch Pet Nats und Orange Wine. Fleck weiß einiges von den inhabergeführten, europäischen Weingütern und von guter Gastgeberschaft. Demzufolge hat er 16 Weine und Schaumweine im offenen Ausschank; bei den Flaschenweinen beginnt der Preis bei 25 Euro. Da traut man sich, was Neues auszuprobieren. An seiner Seite und am Herd steht Küchenchef Ahmed Omer Ahmed. Einigen vielleicht noch bekannt aus dem Restaurant Tisk, ein paar Straßen weiter. Ahmed setzt seine Vorstellung einer französisch-japanischen Bistro-Küche um. So ist Oeuf mayonnaise und der Hamachi in guter Erinnerung geblieben, auch die Schwarzwurzel-Variation. Und beim Wein? Neben einem Wein aus dem Duro-Tal von 2015, einem aus Georgien, hat der Saveurs de Raphael 2020 und das Frankenschwein Eindruck hinterlassen. Zur Probe standen jeweils ein Glas Champagner J.M. Goulard, sechs Weine, ein NOVIN opaque Kombucha. Sich Weinkenntnis zu erarbeiten heißt manchmal eben auch, einen Schwips nach Hause zu tragen. Wer keinen Alkohol mag, wird aber auch hier gut bedient.


The Space beim Opening im Januar, Foto: pewpew The Space

„No dogma! Von Natural bis Klassik“

Frankenschwein – das ist kein Schreibfehler, sondern hat Methode. Dahinter steckt Edel & Faul, gegründet von Frank Krüger und seit einiger Zeit ist Kevin Leismann dabei. Krüger ist schon lange im Weinbusiness, Leismann war vier Jahre lang Sommelier und Restaurantleiter im Cookies Cream. Auch bei diesen beiden ist die Begeisterung für guten Wein nicht zu übersehen. Es wird viel gelacht und gefeiert, seit neuestem im The Space: „Unsere neue Bühne in Mitte, die alles bündelt, was wir lieben: Individuelle Weine mit viel Charakter, wechselnde Fotokunstausstellungen sowie DJs, die bei unseren Weinevents und Vernissagen für den richtigen Sound sorgen“, so Frank Krüger.

Frank Krüger (2.v.l.), Kevin Leismann (4.v.l.), Foto: Edel & Faul Edel & Faul

Unter dem Motto: „No dogma! Von Natural bis Klassik“ stellen die beiden ein Programm zusammen, das sich schwer eingrenzen lässt. Doch die Sache mit dem Schwein funktioniert recht einfach. Wenn den beiden beim Besuch einer Winzerin oder eines Winzers ein Wein gut gefällt, dann reservieren sie für ihre Kundschaft ein Fass davon, und dann kommt auf das Flaschenlabel etwas mit Schwein. So pflegen die beiden aktuell gute Beziehungen zu Les Vins Pirouettes, einem Projekt, das der biodynamische elsässische Winzer Christian Binner aus Ammerschwihr gelauncht hat. Es soll den biodynamischen Winzern und der Natural-Szene im Elsass eine Plattform geben. Und so kommt es zu einem Orange Pig im Angebot.


Von „Wanna have Fun“ zu „Fucking Perfect“

Eine ganz andere Plattform offeriert die Nomi Weinbar. Nämlich „die männlich besetzte Weinbranche aufrütteln“, so das Motto. Die Frauen von der Nomi Bar machen das souverän und ganz selbstverständlich. Es fällt erst mal nicht auf. Nach ein paar Gläsern und den Erklärungen dazu, wird deutlich, dass an allen Weinen – naturnah produziert – Frauen beteiligt sind.

Marie Weskott und Sophie von Richthofen, Foto: Kira Möller Marie Weskott und Sophie von Richthofen

Hell leuchtet das Namensschild in der Kreuzberger Manteuffelstraße. Auch hier sind Gegensätze spürbar. Ähnlich wie in Neukölln ist die Atmosphäre angespannt, drinnen hingegen sorgt legeres Design in Beton und Grautönen, einfache Bestuhlung und eine Pflanzen­installation an der Decke für entspanntes Laissez-faire. Hinter dem langen Tresen reihen sich Einmachgläser auf den Wandregalen. Die produziert Chef-Sommelière Marie Weskott selbst, in der Profi-Küche ihres Partners, der wiederum Küchenchef in „Zur letzten Instanz“ ist. Sie kommt aus der Sternegastronomie und hat, bevor sie Sommelière wurde – von der IHK anerkannt –, im Zwei-Sterne-Restaurant PURS in Andernach gearbeitet.

Sie hat sich peu à peu an Berlin herangetastet, fand die Stadt attraktiv, aber die Idee mit der Weinbar war dann der ausschlaggebende Punkt, hierher zu ziehen. Und hier hätte sie den schöneren Job im Unternehmen, sie lacht. Sie genießt die kurzen Wege bei Entscheidungen. Ein Beispiel: Die Idee, die Weine nach Songtiteln zu unterteilen, wurde schnell umgesetzt. „Wanna have Fun“, darunter finden sich die unaufgeregten Weine, „What a Feeling“ bedeutet mehr Tiefgang und „Fucking Perfect“ – dazu muss man wohl nichts mehr sagen.

Für eine Grundlage oder als Begleitung zum Champagner 2019 Binôme Brut Natur von Julie Dufour, dem Weißwein 2020 Grenache Gris, Momento Wines aus Südafrika sowie dem Rotwein 2018 Camarolos von Victoria Ordóñez aus Spanien ist gesorgt. Neben Klassikern wie Oliven, Käse, Brot von Domberger und Eingemachtem, überrascht positiv das in dünne Streifen geschnittene, gebeizte Rinderherz mit Olivenöl und Meersalz bestreut.


„Nicht ganz so wilde Naturweine“

Unkonventionell, dennoch leicht zugänglich. Das funktioniert erfolgreich. Auch im Michelberger. Joshua Fine oder „Josh“, wie ihn alle nennen, ist Restaurantleiter und verfolgt aufmerksam die Szenerie der Weintrinker*innen, international und national. Jung ist die Weingeneration und neugierig. Anders als in den Staaten. Dort hat man noch nicht begriffen, wie wichtig es ist, Weine nachhaltig zu produzieren und darüber zu sprechen. In Europa hätte man sich beim Thema Naturwein weiterentwickelt, auch die ältere Generation zeigt Interesse an „Low Intervention Wine“. Für ihn gelten dabei drei Grundsätze: 1. Im Weinberg muss biologisch oder biodynamisch gearbeitet werden. 2. Im Keller sollte nicht filtriert werden. 3. Schwefel sollte nur in kleinsten Mengen zugeführt werden. Naturwein heißt für ihn ganz klar keinerlei Einfluss auf das Ergebnis in der Flasche. Das muss nicht immer ein abenteuerlicher Wein werden.

Josh Fine, Foto: Aga Bukowska Josh Fine

Josh kann nicht nur im Restaurant die Gäste beraten und ihnen besondere Weine näher bringen. „Ich kann manchmal einschätzen, was ich den Gästen – auch älteren – zumuten kann, und ahne dann, was ihnen schmecken könnte. Ich empfehle dann nicht ganz so wilde Naturweine, die unfiltriert und trüb im Glas sind.“ Früher galten einfache Regeln. So verließ man sich auf klassische Weinregionen wie z.B. Bordeaux. Die über 25-Jährigen legen darauf kaum noch Wert. Sie sind mit diesen Weinen kaum in Berührung gekommen.

Einfühlsamer Umgang sei das wichtigste als Gastgeber oder Gastgeberin. Man selbst kann begeistert sein von den Weinen, die man empfiehlt, aber ob der Gast darüber auch viel wissen will? Professioneller Umfang würde immer bedeuten, „dass es um den Genuss geht, und dass der Fokus auf dem Zusammenspiel von Service, Essen und Wein liegt.“ Joshua Fine macht es zudem den Gästen des Hotels oder den Walk-ins einfach. Die Weine der gesamten Weinkarte sind auch in der Lobby, an der Bar zu haben.

Aber: Josh findet gerade auch die alkoholfreien Alternativen, auch Proxies genannt, sehr spannend. Proxies sind eigenständige Getränke, die geschmacklich innovativ und kein Wein sind. Joshs Favorit ist gerade Clearly Confused vom Ambijus. Mit z.B fermentiertem Apfel und Fichtensprossen. „Wenn du den trinkst, schmeckst du ein bisschen Wald!“

Sacrebleu!
Kienitzer Straße 95, Neukölln, Tel. 0152 59 85 41 10, https://sacre.ft.restaurant, Mo-Fr ab 18 Uhr

The Space by Edel & Faul
Veteranenstraße 17, Mitte, Tel. 0172 159 40 97, www.the-space.berlin, Do-Sa 15-20 Uhr

Nomi Weinbar
Manteuffelstraße 100, Kreuzberg, www.nomi-weinbar.de, Mi-Mo ab 17 Uhr

Michelberger
Warschauer Straße 39/40, Friedrichshain, Tel. 030 29 77 85 90, www.michelbergerhotel.com, tägl. ab 17 Uhr



Simon Guitard und Fernanda Befi, Foto: Luke Johnson Fernanda Befi und Simon Guitard

„Was immer angesagt sein wird, ist das Vergnügen“

2021 haben Fernanda Befi und Simon Guitard die Holly Gastrobar in Neukölln eröffnet. Beide sind weitgereist, weltgewandt und erfahren. Fernanda hat ihre Kindheit und Jugend in Brasilien, dann in Italien verbracht, sie absolvierte in Spanien und Frankreich eine Kochausbildung. Anschließend ließ sie sich in Kerala, Indien, in Ayurveda-Küche ausbilden. In den letzten Jahren arbeitete sie als Rezeptentwicklerin für pflanzliche, gesunde Küche. Simon Guitard lernte sein Handwerk an einer Kochschule in Toulouse. Anschließend arbeitete er in Frankreich, England, Australien, Neuseeland und Berlin. Letztendlich haben beide Berlin schätzen gelernt

Welche Idee steckt hinter der Holly Gastrobar?
Fernanda Befi: Wir wollten ein Konzept entwickeln, das es so in Berlin noch nicht gibt. Wir wollten eine gehobene Küche mit Vorspeisen, Hauptgerichten und Desserts mit einer umfangreichen Weinkarte und einer ungezwungenen Atmosphäre mit vernünftigen Preisen kombinieren. Ein Ort, an den man ein Familienmitglied oder eine Gruppe von Freunden mitbringen kann und der beide zufriedenstellt.

Das hört sich an, als ob ihr jede und jeden erreichen wollt.
Ich glaube nicht, dass ein Konzept möglich ist, das alle erreicht. Wir versuchen ja, so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Wir bieten ein zwangloses Fine Dining. Das klingt nach einer seltsamen Kombination, aber wir glauben, dass sie möglich ist. Ein Ort, an dem sie eine gut durchdachte Weinkarte finden, mit Weinen mit niedrigem Intervall, lokal gebrauten Bieren und einer feinen Küche, in der mein Partner und Ehemann Simon viel Technik einsetzt, um lokale und biologische Produkte zu verarbeiten. All das in einem ungezwungenen und unprätentiösen Ambiente und mit herzlichem Service. Die Gäste sind willkommen mit Familie, Freunden, Haustieren.

Hat Corona bei euren Plänen eine entscheidende Rolle gespielt?
Eine große sogar. Wir hatten beide den Wunsch, mehr zu reisen, bevor wir uns niederlassen – und dann kam Corona. Da war Reisen in naher Zukunft nicht mehr möglich. So hatten wir die Wahl, nach Hause zurückzukehren oder uns in Berlin niederzulassen, einem Ort, den wir beide lieben. Wir entschieden uns zu bleiben und Holly wurde realisiert und unser Sohn kam zur Welt.

Was ist eure Philosophie der Gastfreundschaft?
Auswärts essen war und ist für uns eine Möglichkeit, uns zu verwöhnen. Wir lieben es zu essen, zu trinken und dabei Spaß zu haben ... also versuchen wir genau das im Holly zu geben.

Wie stellst du dir eure Zukunft vor? Und wie sieht die Zukunft der Restaurants, der Food-Szene in Berlin aus?
Dass wir weiterhin das tun können, was wir bei Holly lieben. Gutes Essen und ein relativ zugängliches Esserlebnis. Wie die Zukunft der Restaurants und der Food-Szene in Berlin aussieht, ist schwer zu sagen, aber bei allen Branchen gibt es Trends und in der Gastronomie ist das nicht anders. Was immer angesagt sein wird, ist das Vergnügen, gutes Essen zu essen (für sich und die Umwelt) und mit Menschen zu trinken, mit denen man gerne zusammen ist. Das wird sich meiner Meinung nach nicht ändern.

Holly Gastrobar
Mainzer Straße 23, Neukölln, Tel. 030 50 95 10 10, www.hollyberlin.com, Mi-Fr ab 18 Uhr